Was, wenn es Aliens gäbe?
Das Pentagon berichtete jüngst von UFO-Sichtungen. Grund genug für ein Gedankenexperiment: Wie müsste man sich verhalten, besuchten Außerirdische tatsächlich die Erde? Der Soziologe Frank Adloff entwirft eine Ethik für den Umgang mit Aliens.
Als der ehemalige US-Präsident Barack Obama im Mai dieses Jahres in einem Interview andeutete, es könne in der Nähe der Erde Außerirdische geben, war die mediale Resonanz groß und der subkulturelle Ufo-Hype fand sich nun auch endlich offiziell legitimiert. Obama gab dem Sender CBS zu Protokoll, dass es Aufnahmen von Flugobjekten gebe, die vom US-Militär nicht eindeutig identifizierbar seien. Zu ungewöhnlich seien etwa deren Flugbahnen und Manöver. Im Juni 2021 veröffentlichte das US-Militär dann einen lang erwarteten Bericht: 144 „nicht identifizierte Luftphänomene“ hat das US-Militär zwischen 2004 und 2021 beobachtet. Ihr Ursprung konnte nicht aufgeklärt werden, was bedeutet: Die Existenz außerirdisch-intelligenten Lebens ist nicht ausgeschlossen. Angesichts von zig Milliarden Planeten im Universum ist die Chance aus Sicht der Exobiologie sogar sehr groß, dass sich auch woanders Leben oder sogar intelligentes Leben entwickelt hat.
Was wäre, wenn sich tatsächlich Aliens in der Nähe oder auf der Erde aufhalten würden? Zugegeben: Viel wahrscheinlicher ist es, dass es sich bei den „Ufos“ um militärische Geheimprojekte Chinas, Russlands oder der USA selbst handelt. Dennoch lohnt es sich, dieses Gedankenexperiment – denn um ein solches handelt es sich – durchzuspielen. Nehmen wir also an, Aliens wären schon längst hier. Was würde dies für das Zusammenleben auf unserem Planeten bedeuten? Wie sollte man den Außerirdischen entgegentreten? Welche Konsequenzen hätte ein Kontakt mit fremden Zivilisationen, die wahrscheinlich ganz anders als die menschlichen Zivilisationen aussehen, handeln und denken?
Zunächst einmal kommt es zu einer radikalen Dezentrierung menschlicher Orientierung. Die Erde ist nicht nur nicht Mittelpunkt des Universums, nein, die Menschen sind weder die alleinige intelligente Zivilisation im Weltraum noch die intelligenteste. Denn wir wurden entdeckt, was für eine zumindest technologische Überlegenheit der Entdecker spricht. Ob daraus ein Verständnis von der Menschheit als einem geeinten kollektiven Akteur erwächst, ist ungewiss. Der Klimawandel zeigt bislang ja, dass ein Menschheitsproblem nicht notwendigerweise zu einem gemeinsamen Handeln der Menschheit führt. Es könnten sich auch die Konflikte zwischen den Nationen verschärfen, beispielsweise entlang der Frage, wer zu entscheiden hat, wie auf die Sichtung der Aliens zu reagieren ist, wer mit ihnen kommunizieren oder verhandeln darf, wer den Verteidigungsfall ausrufen würde und im Namen der Menschheit zuschlagen dürfte?
Der dunkle Wald des Universums
Die unmittelbare physische Nähe und Erreichbarkeit von Aliens stellt den extremsten Fall von Kontakt dar. Zwei weitere Möglichkeiten, die Andreas Anton und Michael Schetsche in ihrem 2019 publiziertem Aufsatz Exosoziologie – Szenarien für den Erstkontakt mit außerirdischer Intelligenz beschreiben, würden sicher zu weniger intensiven und aufgewühlten Reaktionen führen. Im Signalszenario werden Signale von außerirdischen Zivilisationen empfangen, die allerdings dann sehr viele Lichtjahre unterwegs waren und damit keine unmittelbare Auswirkung auf unser Leben haben. Auch im zweiten Fall, dem Artefaktszenario, werden die Reaktionen nicht so drastisch ausfallen, wenn etwa eine fremde Raumsonde oder Teile eines Raumschiffs gefunden würden, da auch diese schon viele Jahre unterwegs sein können und ihr Ursprung in räumlicher und zeitlicher Ferne läge. Am stärksten affiziert uns das Begegnungsszenario. Im Science-Fiction-Bereich erscheint der direkte Kontakt mit den Außerirdischen häufig als eine Begegnung mit einem unbekannten Feind, der die Menschheit vernichten will.
Seit den 1960er Jahren sucht man nach Radiowellen im All, die als Anzeichen oder Signale intelligenter, technischer Zivilisationen gelten können (SETI: Search for Extraterrestrial Intelligence). Unter METI (Messaging Extraterrestrial Intelligence) versteht man wiederum das Aussenden von Signalen ins All, um in eine mögliche Kommunikation mit extraterrestrischen Zivilisationen zu treten. Kritiker der METI-Programme wenden ein, dass man sich besser nicht zeige, da man nicht wissen könne, ob die potentiellen Signalempfänger friedlich oder nicht vielmehr feindselig gestimmt sind.
Dies ist auch einer der Plots der Science-Fiction-Trilogie, die der chinesische Autor Cixin Liu vorgelegt hat. Der erste Band der Trisolaris-Reihe, Die drei Sonnen, wurde vom schon erwähnten Barack Obama hoch gelobt. Nachdem eine chinesische Wissenschaftlerin auf Radiowellen Außerirdischer geantwortet hat – in der Hoffnung, dass die außerirdische Zivilisation der Menschheit helfen könnte, die Probleme auf der Erde zu lösen –, macht sich gegen ihre Erwartung eine Raumschiffflotte der Trisolarier auf den Weg zur Erde. Ihr Ziel ist es, die Menschheit zu vernichten und die Erde als neuen Lebensraum zu kolonisieren, da die Bewohnbarkeit des eigenen Planeten sehr eingeschränkt und fragil ist (die Analogie zum Klimawandel auf der Erde ist hier augenfällig).
Der dunkle Wald, zweiter Teil der Trilogie, offenbart die dahinterliegende Logik. Warum, so fragt einer der Protagonisten, gibt es so wenig Signale Außerirdischer, wenn es denn sehr wahrscheinlich ist, dass es viele extraterrestrische Zivilisationen gibt? Dieses sogenannte Fermi-Paradox beruht darauf, dass alle sich still verhalten, aus Angst, von anderen Zivilisationen entdeckt und angegriffen zu werden. Das Universum sei ein dunkler Wald, in dem Jäger herumstreifen, die immer auf der Hut sind, entdeckt zu werden, und immer bereit sind, andere Lebensformen zu vernichten, aus der Angst, selbst vernichtet zu werden: „In diesem Wald sind die Hölle die anderen Lebewesen. Es herrscht das ungeschriebene Gesetz, dass jedes Leben, das sich einem anderen offenbart, umgehend eliminiert werden muss. Das ist das Bild der kosmischen Zivilisationen. Das erklärt das Fermi-Paradox“. Hier wird offenkundig das Dilemma radikalisiert und generalisiert, dass sich ergibt, wenn Akteure rein eigennutzorientiert handeln und nicht wissen, wie die oder der andere reagiert. Im klassischen Gefangendilemma drückt sich diese Problematik ebenfalls zugespitzt aus. Die Akteure finden nicht in einen für beide Seiten eigentlich wünschenswerten Modus der Kooperation, da sie nichts über die Verhaltensweisen und Strategien des anderen wissen. Also schützen sie sich und lassen sich nicht auf eine Kooperation ein.
Neue Kolonisatoren
Ist es also geboten, sich im All still zu verhalten und bei einem Kontakt mit Außerirdischen aufgrund der unüberwindbaren Kommunikationsschwierigkeiten und dem damit verbundenen Problem, die Motivlagen der anderen zu verstehen, sie präemptiv zu vernichten? Zumindest sofern der Stand der eigenen Technologie dies zuließe? Wie man aus einer Vielzahl von Situationen weiß, stellt sich das Gefangendilemma im menschlichen Alltag nur selten. Wir vertrauen einander immer schon und sind in Kooperationszusammenhänge eingebunden, die ohne Vertrauensvorschuss nicht zustande kämen. Ohne aufeinander zuzugehen, ohne Vertrauen, ohne Risiko etwas zu geben, ohne genau zu wissen, ob es erwidert wird, kann es keine Gesellschaft geben. Kann man diese „Anthropologie der Gabe“, wie es der französische Soziologe Alain Caillé in seinem gleichnamigen Buch nennt, auch auf den Kontakt mit Aliens beziehen?
Wir wissen es nicht. Wir wissen nichts über die Intelligenz und Moral von Außerirdischen, über ihre Art des Zusammenlebens, über ihre Einstellungen und Motive gegenüber anderen Spezies. Wir wissen bei ihrem Besuch der Erde zunächst nur, dass sie uns technologisch überlegen sind. So wie die europäischen Kolonisatoren den indigenen Gesellschaften Amerikas technologisch überlegen waren. Diese Analogie lässt nichts Gutes hoffen, wenn man sich die Aliens als Kolonisatoren vorstellt. Vielleicht wird es dann Bevölkerungsgruppen auf der Erde geben, die die außerirdischen Besucher als höher zivilisierte Spezies vergöttern und anbeten würden – auch dieser plausible Gedanke findet sich bei Cixin Liu.
Doch drei weitere Annahmen sind indes ebenso plausibel: Zeigen sich uns die Aliens, ist dies schon eine erste Vertrauensbekundung. Denn wenn sie der Rational Choice-Theorie des dunklen Waldes folgten, hätten sie uns schon längst vernichten können und müssen. Zweitens: Wenn das Universum von vielen Zivilisationen bevölkert ist, und die Besucher zu interstellaren Flügen fähig sind, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass die außerirdischen Besucher schon Erfahrungen mit anderen Zivilisationen gesammelt haben und somit über so etwas wie eine inter-zivilisatorische Kompetenz mitbringen. Sollten sie drittens dennoch feindselig sein und sollte das All dem Hobbes’schen Urzustand des Kampfes aller gegen alle entsprechen, wäre es ebenfalls besser zu kooperieren, da die Aliens uns militärisch überlegen sind.
Invasion als Chance
Wenn wir sonst nichts über die Aliens wissen und sie uns auch nicht ihre Absichten übermitteln können, läuft nun alles auf die Frage zu: komplettes Misstrauen und präemptiver Schlag – oder ein bedingtes Vertrauen, das mit einem hohen Risiko verbunden ist? Ohne Vertrauen und Risiko wird es zu einer Konflikteskalation kommen müssen, da die andere Seite natürlich in der spieltheoretischen Logik auf die Drohkulisse oder den militärischen Schlag reagieren wird. Wenn es also zu einem extraterrestrischen zivilisatorischen Austausch kommen, ja vielleicht sogar eine Form des interstellaren Zusammenlebens gelingen soll, braucht es eine Haltung der Konvivialität jenseits egozentrischer Kosten-Nutzen-Kalküle (die ebenfalls erlernt und nichts „Natürliches“ sind) aufseiten der Menschheit.
Eine Haltung, an der es ihr heute weitgehend fehlt. Denn mit dem technischen und wissenschaftlichen Fortschritt kann die moralische Entwicklung der Menschheit bisher nicht Schritt halten. Sie konnte, so das zweite konvivialistische Manifest einer Gruppe von internationalen Denkerinnen und Wissenschaftlern, „ihr größtes Problem noch immer nicht lösen: Wie mit der Rivalität und der Gewalt zwischen den Menschen umgehen? Wie sie dazu bewegen, zusammenzuarbeiten, wobei jede/r das Beste von sich selbst gibt, sodass es möglich wird, einander zu widersprechen, ohne einander niederzumetzeln?“. Eine konviviale Antwort auf diese fundamentalen Fragen zu finden, erfordert, so der Konvivialismus, die menschliche Hybris, die sich insbesondere der westlichen Moderne eingeschrieben hat, zu überwinden. Nicht die Oberhand zu haben, sollte das Ziel menschlichen Strebens sein, sondern auch den anderen mit seinen oder ihren Bedürfnissen zu sehen und anzuerkennen.
Der Kontakt mit einer anderen Zivilisation würde die extremste Herausforderung der modernen Hybris darstellen, da diese andere Zivilisation offenkundig als „entwickelter“ eingestuft werden müsste. Entwickelt im technologischen Sinne, was zugleich die Frage aufwerfen wird, welche Moral und Gesellschaft die Aliens haben. Doch es hängt letztlich am moralischen Niveau der Menschheit, ob das Zusammentreffen mit einer extraterrestrischen Zivilisation eine Katastrophe oder eine Chance für die Menschen darstellen wird.
Als-ob-Beziehung
Der pragmatistische Philosoph William James hat in seinem berühmten Text Der Wille zum Glauben aus dem Jahr 1897 Wesentliches dazu gesagt. Der Glaube – in einem weit verstandenen Sinne von vertrauen und geben – vermag das, woran geglaubt wird, überhaupt erst hervorzubringen. Er hat also im Vorgriff auf die Zukunft eine performative Kraft, diese Zukunft wirklich werden zu lassen. Das beste Beispiel ist die Liebe: Wollte man erst lieben, wenn es eine objektive Evidenz der Liebe des anderen gibt, wird diese Liebe wohl niemals eintreten – auf keiner der beiden Seiten. Vertrauen und Gaben konstituieren also eine „Als-ob-Beziehung“ zu einem anderen, die das „Als-ob“ wirklich werden lassen kann. Das heißt auch, wie ich in meinem Buch Politik der Gabe ausgeführt habe, dass die wertvollsten Bindungen und Güter nur entstehen können, wenn man einen Sprung ins Ungewisse wagt, ohne den Beweis zu haben, dass sich das eingegangene Risiko lohnt.
Und damit sind wir am Ende wieder bei der Menschheit angelangt. So wie das Genre des Science Fiction immer auch eine Auseinandersetzung mit einer bestehenden gesellschaftlichen Realität darstellt, ist dieser Text letztlich ein Gedankenexperiment, das das Konvivialitätspotential der Menschheit reflektiert. Über Aliens wissen wir nicht viel. Man muss sich eben zunächst einmal selbst ändern. •
Frank Adloff lehrt als Professor für Soziologie an der Universität Hamburg. Gemeinsam mit Claus Leggewie gab er 2014 „Das konvivialistische Manifest – Für eine neue Kunst des Zusammenlebens“ (trancript) heraus. Zuletzt erschien von ihm „Politik der Gabe – Für ein anderes Zusammenleben“ (Nautilus, 2018).
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