Alva Noë: „Wir sind in Träumen so begrenzt wie im echten Leben“
Im Schlaf sind wir da und doch nicht da. Der Philosoph und Kognitionswissenschaftler Alva Noë erklärt, warum der Schlaf die Unterscheidung von Aktivität und Passivität unterläuft und wir die Autoren unserer Albträume sind.
Herr Noë, in der griechischen Mythologie wird der Gott des Schlafs, Hypnos, als Bruder des Thanatos, dem Gott des Todes, vorgestellt. Was denken Sie über die darin ausgedrückte Ähnlichkeit zwischen Schlaf und Tod?
Alva Noë: Sie ist eine großartige Idee, wenn wir über die Angst vor dem Tod nachdenken. Wüssten wir, dass Sterben wie Schlafen ist, wäre das tröstlich. Drehen wir es um und denken darüber nach, warum so viele Menschen Schlafprobleme haben: Für viele ist Schlaf angsteinflößend. Manche schlafen leicht ein, wachen aber auf und können nicht wieder einschlafen. Andere schlafen gar nicht erst ein, weil ihre Gedanken rattern. Ich hatte als Kind selbst Angst vor dem Schlafen, weil ich mich gefürchtet habe, von der Welt und von meiner Mutter getrennt zu sein. Das war wie eine Angst vor dem Tod. Und wir alle haben eine Vorstellung davon, was es heißt, eine ausgeglichene Person zu sein. Das wäre wohl auch eine Person, die loslassen kann, die „Gute Nacht“ und „Auf Wiedersehen“ sagen kann, etwas, das oft schwerfällt.
Ähneln sich der Schlaf und der Tod also darin, dass beides Dinge sind, die den allermeisten Menschen widerfahren, und nicht Handlungen, die sie ausführen?
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Kommentare
Anspruchsvolles Interview, wonach ich schliesse, dass die Ohnmacht die radikalere Form des Schlafes ist. Welche gemeinhin und vermutlich irrtümlich, als Verlust des Bewusstseins bewertet wird. (Die Quellen gelten jedoch nach heutigem Sprach-Wissensstand als transzendenzal veraltet)