Philipp Wüschner: „Wer Langeweile schätzen will, braucht eine Affinität zum Spielen“
Sie ist oft kaum auszuhalten – aber auch der Anstoß für Philosophie als Sinnsuche. Ein Gespräch mit Philipp Wüschner über heiße und kalte Langeweile, Heideggers Existenzialismus und ein verborgenes rebellisches Potenzial.
Was finden Sie langweilig?
Derzeit Berlin, die Stadt, in der ich lebe. Ich gehe schon noch gern aus und unternehme etwas. Aber ich sitze nicht mehr gern irgendwo in Berlin und schaue der Stadt zu. Ich kann mich erinnern, dass es mir früher anders ging.
Woran liegt das? Was erzeugt die Langeweile?
Langeweile ist die Erfahrung, dass uns die Dinge nicht mehr affizieren, dass sie uns nichts angehen, eine Art Resonanzstörung. Worin die Gründe dafür liegen, dass Berlin mich langweilt, kann ich gar nicht so genau sagen. Vielleicht ist es das Wetter. Ich hoffe, der Sommer wird es reparieren. Berlin ist keine gute Stadt für kalte Jahreszeiten.
Woher kommt es, dass uns die Dinge nichts mehr angehen? Ist man der Sache überdrüssig? Oder gibt es einen Mangel?
Es kann beides sein. Es kann zur Langeweile aus Überforderung und aus Unterforderung kommen. Es gibt auch strukturelle Gründe für Langeweile: Ist es mir erlaubt mitzumachen? Gibt man mir das Gefühl, dass das, was um mich herum geschieht, wirklich mit mir zu tun hat? Meistens kommt Langeweile aber einfach unerklärlich und geht genauso wieder. Sachen, die einen sonst verlässlich interessieren, sind plötzlich der Langeweile ausgesetzt. Das hat etwas Launenhaftes – so wie die Heiterkeit, die ja auch in der Regel unbegründet ist.
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo
Weitere Artikel
Was ist Existenzialismus?
In unserer Rubrik Auf einen Blick machen wir philosophische Strömungen in einem Schaubild verständlich. Heute: Existenzialismus, der in Anbetracht von Angst, Tod und Sinnlosigkeit eine Philosophie der radikalen individuellen Freiheit entwirft.

Heideggers jüdische Schüler - Im Namen des Meisters?
Der Einfluss Heideggers auf die europäische Nachkriegsphilosophie ist ohne Vergleich. Gerade junge jüdische Philosophen wussten sich für den Meisterdenker aus Freiburg zu begeistern. Sie verteidigten ihn auch nach dem Krieg bis an die Grenze der Selbstverleugnung
Heideggers Vermächtnis: Wir sind in die Welt geworfen
Martin Heideggers Ausrichtung auf das je eigene menschliche Leben als Ausgangspunkt seiner Philosophie, machte ihn zu einem der wirkmächtigsten Erneuerer des Denkens im 20. Jahrhundert.

Kierkegaards Einsicht: Das Prinzip Verzweiflung
Auf den ersten Blick mag es geradezu paradox erscheinen, dass der tiefreligiöse Søren Kierkegaard als Gründer des Existenzialismus gilt – einer Haltung und Tradition, die heute oft als Reaktion auf den Tod Gottes verstanden wird. Eine Erläuterung von Dominique Kuenzle.

Sarah Bakewell: „Niemand kann ein perfekter Existenzialist sein“
Dass der Existenzialismus nach wie vor nicht nur junge Menschen begeistern kann, davon ist die Autorin des Bestsellers Das Café der Existenzialisten überzeugt. Ein Gespräch mit Sarah Bakewell über die Möglichkeit, „existenzialistisch“ zu leben – und über die politische Aktualität des existenzialistischen Freiheitsgedankens.

Peter Trawny: "Heideggers philosophisches Erbe steht auf dem Spiel"
„Schwarze Hefte“ nannte Heidegger Denktagebücher, die er ab 1931 führte. Lange geheim gehalten, werden sie nun veröffentlicht. Sie enthalten antisemitische Äußerungen, die eine Neubewertung der Heidegger'schen Philosophie erfordern. Gespräch mit Peter Trawny, dem Herausgeber der Hefte
Ein neuer Existenzialismus
Das Anthropozän, das vom Menschen gemachte Erdzeitalter, stellt ganz andere Anforderungen ans Menschsein. Wir müssen natursensibler werden, um uns in neuer Umgebung zurechtzufinden. Und wir müssen ein Gespür dafür entwickeln, dass die Koexistenz mit anderen Lebewesen unserer Existenz vorausgeht.

Arjun Appadurai: "Kapitalismus ist heute vor allem Zauberei"
Für Arjun Appadurai ist die Globalisierung ein zirkulierender Strom von Formen. Der indische Kultursoziologe legt verborgene Verbindungen frei, in denen die Dinge nicht nur Waren, sondern Akteure sind. Ein Gespräch über die virale Kraft der Ideen, spielende Banker und internationalen Terrorismus.