Erwin Huber: „In der CSU gibt es letzte Autoritäten, in der Philosophie nicht“
Mit 71 Jahren begann der frühere CSU-Chef Erwin Huber ein Philosophiestudium. Nun hat er es abgeschlossen. Ein Gespräch über seine Faszination für Hannah Arendt, das Wissen um die eigene Endlichkeit und Zukunftspläne.
Herr Huber, mit 71 Jahren haben Sie vor drei Jahren ein Philosophiestudium begonnen und es kürzlich in Regelstudienzeit abgeschlossen. Herzlichen Glückwunsch. Welche Philosophin oder Philosoph hat es Ihnen denn besonders angetan?
Ich glaube, man darf die Philosophie nicht auf einen oder zwei Denker verengen. Schließlich lädt die Disziplin gerade zu einer Vielzahl an Perspektiven ein, wie es sie sonst nur selten gibt. Ich habe es mir deshalb behalten, mal neuere und mal klassische Texte zu lesen. Im Moment widme ich mich z.B. dem Buch Macht und Gewalt von Hannah Arendt – und das beeindruckt mich schon schwer.
Was fasziniert Sie daran?
Die präzise Gedankenführung und ihr gut lesbarer Stil. Wenn man sich im Gegensatz dazu die Philosophen des deutschen Idealismus anschaut, Kant zum Beispiel oder Hegel, Schelling oder Fichte, dann ist es schon beeindruckend, wie gut verständlich Arendt komplexe Themen angeht.
Es ist spannend, dass Sie Arendt als eine Denkerin nennen, die Ihnen nun besonders imponiert. Als wir uns 2019 unterhalten haben, waren Sie vom Werk Martin Heideggers fasziniert. Viele würden das als ziemliche Kehrtwende bezeichnen.
Diesen Umschwung habe ich auch selbst mit Erstaunen beobachtet, da Arendt ja auch eine Schülerin Heideggers war. Ich würde Heidegger heute auch nicht mehr als einen meiner Lieblingsphilosophen bezeichnen, da mir in der Literatur oft die kritische Auseinandersetzung mit seiner Persönlichkeit fehlte. Er war in der NSDAP und hat sich davon auch nie richtig distanziert. Ich finde in der Universität und der Wissenschaft generell sollte man derartige Irrgänge im Denken und falsche Lebensentscheidungen von Philosophen schon thematisieren und Konsequenzen daraus ziehen. Da darf es keinen Korpsgeist geben.
Was wären aus Ihrer Sicht angemessene Konsequenzen? Heidegger nicht mehr zu lehren und zu lesen?
Ich plädiere nicht für eine geistige Bücherverbrennung, natürlich nicht. Allerdings müssten solche Informationen erkennbar erwähnt werden. Erstens, weil man solches Vorwissen nicht von allen verlangen kann. Und zweitens, weil Heidegger nicht der einzige Denker ist, der in seinen Werken solche Gedanken äußert. Auch wenn Carl Schmitt breit und lang zitiert und referiert wird, ohne dessen Antisemitismus zu erwähnen, ist das ein gravierender Mangel. Gerade dann, wenn es um Antisemitismus und Rassismus geht, sollte die Philosophie an der Spitze der gegnerischen Front sein.
Lassen Sie mich raten, Ihre Abschlussarbeit haben Sie über ein Thema aus dem Bereich der politischen Philosophie geschrieben?
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