Zurück in die Zukunft
Utopien sind derzeit so gesucht wie selten. Zwei neue Bücher und ein Klassiker verhandeln mit sehr unterschiedlichen Mitteln, wie die Zukunft aussehen könnte – oder einmal ausgesehen hat. Über die Notwendigkeit, das Leben neu und ganz anders zu denken.
Menschen sind wesentlich auf die Zukunft ausgerichtet. Zur Welt verhalten sie sich im Modus des Hoffens, Sehnens und Vorstellens. Wir möchten, so Ernst Bloch, der als Metaphysiker des „noch nicht“ zeitlebens über die utopische Tendenz unseres Weltbezugs nachdachte, dass die Dinge anders und vor allem besser sind, als sie sind.
Auch der von Bill Gates geschätzte, australisch-amerikanische Großhistoriker David Christian nähert sich in Zukunft denken. Die nächsten 100, 1000 und 1 Milliarde Jahre den zentralen Aspekten dieser menschlichen Zukünftigkeit an. Alle Organismen, darunter auch die Bakterien Escherichia coli, denen Christian ein eigenes Kapitel widmet, erklärt er aufgrund von vier Milliarden Jahren natürlicher Selektion zu „kreativen Zukunftsdenkern und -managern“. Er übersetzt somit, im Sinne seiner Fragestellung, das evolutionäre Existenzprinzip in einen „Sinn für Zukunft“.
Die „Nadelöhr-Ära“
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Und woran zweifelst du?
Wahrscheinlich geht es Ihnen derzeit ähnlich. Fast täglich muss ich mir aufs Neue eingestehen, wie viel Falsches ich die letzten Jahre für wahr und absolut unumstößlich gehalten habe. Und wie zweifelhaft mir deshalb nun alle Annahmen geworden sind, die auf diesem Fundament aufbauten. Niemand, dessen Urteilskraft ich traute, hat den Brexit ernsthaft für möglich gehalten. Niemand die Wahl Donald Trumps. Und hätte mir ein kundiger Freund vor nur zwei Jahren prophezeit, dass im Frühjahr 2017 der Fortbestand der USA als liberaler Rechtsstaat ebenso ernsthaft infrage steht wie die Zukunft der EU, ich hätte ihn als unheilbaren Apokalyptiker belächelt. Auf die Frage, woran ich derzeit am meisten zweifle, vermag ich deshalb nur eine ehrliche Antwort zu geben: Ich zweifle an mir selbst. Nicht zuletzt frage ich mich, ob die wundersam stabile Weltordnung, in der ich als Westeuropäer meine gesamte bisherige Lebenszeit verbringen durfte, sich nicht nur als kurze Traumepisode erweisen könnte, aus der wir nun alle gemeinsam schmerzhaft erwachen müssen. Es sind Zweifel, die mich tief verunsichern. Nur allzu gern wüsste ich sie durch eindeutige Fakten, klärende Methoden oder auch nur glaubhafte Verheißungen zu befrieden.
Es kam so überraschend wie verheerend.
Das Coronavirus, das die Welt Anfang 2020 erfasste und in vielen Bereichen noch immer unseren Alltag bestimmt, erzeugte vor allem eines: ein globales Gefühl der Ungewissheit. Wurde das soziale Leben in kürzester Zeit still gestellt, Geschäfte, Kinos und Bars geschlossen und demokratische Grundrechte eingeschränkt, blieb zunächst unklar, wie lange dieser pandemische Ausnahmezustand andauern würde. Und selbst jetzt, da sich das Leben wieder einigermaßen normalisiert zu haben scheint, ist die Unsicherheit nach wie vor groß: Wird es womöglich doch noch eine zweite Infektionswelle geben? Wie stark werden die wirtschaftlichen Auswirkungen des Shutdowns sein? Entwickeln sich Gesellschaften nun solidarisch weiter oder vollziehen sie vielmehr autoritären Rollback? Ganz zu schweigen von den individuellen Ungewissheiten: Kann ich im Sommer in den Urlaub fahren? Werde ich im Herbst noch Arbeit haben? Hält die Beziehung der Belastung stand? Kurzum: Selten war unsere so planungsbedürftige Zivilisation mit so viel Ungewissheit konfrontiert wie derzeit.

Wie schaffen wir das?
Eine Million Flüchtlinge warten derzeit in erzwungener Passivität auf ihre Verfahren, auf ein Weiter, auf eine Zukunft. Die Tristheit und Unübersichtlichkeit dieser Situation lässt uns in defensiver Manier von einer „Flüchtlingskrise“ sprechen. Der Begriff der Krise, aus dem Griechischen stammend, bezeichnet den Höhepunkt einer gefährlichen Lage mit offenem Ausgang – und so steckt in ihm auch die Möglichkeit zur positiven Wendung. Sind die größtenteils jungen Menschen, die hier ein neues Leben beginnen, nicht in der Tat auch ein Glücksfall für unsere hilf los überalterte Gesellschaft? Anstatt weiter angstvoll zu fragen, ob wir es schaffen, könnte es in einer zukunftszugewandten Debatte vielmehr darum gehen, wie wir es schaffen. Was ist der Schlüssel für gelungene Integration: die Sprache, die Arbeit, ein neues Zuhause? Wie können wir die Menschen, die zu uns gekommen sind, einbinden in die Gestaltung unseres Zusammenlebens? In welcher Weise werden wir uns gegenseitig ändern, formen, inspirieren? Was müssen wir, was die Aufgenommenen leisten? Wie lässt sich Neid auf jene verhindern, die unsere Hilfe derzeit noch brauchen? Und wo liegen die Grenzen der Toleranz? Mit Impulsen von Rupert Neudeck, Rainer Forst, Souleymane Bachir Diagne, Susan Neiman, Robert Pfaller, Lamya Kaddor, Harald Welzer, Claus Leggewie und Fritz Breithaupt.
Kann das nicht die Maschine machen?
Schon bald könnten wir digitale Zwillinge von uns selbst für verschiedene Lebensbereiche einsetzen, die für uns verhandeln, flirten und arbeiten. Doch ist das eine wünschenswerte Vorstellung – oder der erste Schritt hin zu einer sterilen Ego-Gesellschaft?

KI, wie können wir mitreden?
Die Geschichte lehrt: Unsere Technikträume reichen weit zurück. Die Gegenwart zeigt: Künstliche Intelligenz hat hohe Zugangsbarrieren. Und die Zukunft: liegt vielleicht in der Quellcodekritik. Drei neue Bücher suchen aus unterschiedlichen Perspektiven nach Orientierung.

Robin Celikates: „Wir sind Zeugen eines ideologischen Kampfes, der mit allen Mitteln ausgetragen wird“
Die Critical Race Theory sorgt derzeit für kontroverse Debatten: notwendiger Weckruf an eine tief rassistische Gesellschaft oder Angriff auf demokratische Grundwerte? Der Philosoph Robin Celikates gibt im Interview einen Überblick über eine der wichtigsten Theorien der Gegenwart.

Eine Sprache für alle
Ziel des Genderns ist, Sprache gerechter zu machen. Im Deutschen wird dieses Streben dabei oft mit der expliziten Sichtbarmachung aller Geschlechtsidentitäten in der Sprache gleichgesetzt. Das muss nicht so sein. Andere Sprachen zeigen, dass eine gerechte Sprache auch anders aussehen könnte.

Meine Arbeit
Arbeit, das hieß einmal: feste Zeiten, festes Einkommen, fester Ort. Wie hat sich das Berufsleben verändert – auch durch Corona? Fünf Menschen aus unterschiedlichen Bereichen erzählen
