Adornos und Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“
Aufklärung und Mythos sind in gewisser Weise das Gleiche, behaupten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung (1944), dem Hauptwerk der Kritischen Theorie. Klingt widersinnig? Wir helfen weiter.
Das Zitat
„Wir hegen keinen Zweifel (…), dass die Freiheit in der Gesellschaft vom aufklärenden Denken unabtrennbar ist. Jedoch glauben wir, (…) dass der Begriff eben dieses Denkens, nicht weniger als die konkreten historischen Formen, die Institutionen der Gesellschaft, in die es verflochten ist, schon den Keim zu jenem Rückschritt enthalten, der heute überall sich ereignet. (…) (S)chon der Mythos ist Aufklärung, und: Aufklärung schlägt in Mythologie zurück.“
Dialektik der Aufklärung (1944)
Die Relevanz
Mit der These über die Verschlungenheit von Mythos und Aufklärung reagieren Adorno und Horkheimer auf die Schrecken des Faschismus: Wie kann es sein, dass die Geschichte des wissenschaftlich-technologischen Fortschritts nicht in eine Befreiung der Menschen, sondern in Auschwitz mündet? Ihre Antwort: Das Problem liegt in der unreflektierten Aufklärung selbst. Diese habe einzig die „instrumentelle Vernunft“ zum Zweck der Natur- und damit auch Menschenbeherrschung immer weiter ausgebildet. Ausgeklammert sei dabei die Frage geblieben, wie wir gemeinsam gut leben können. Angesichts der Klimakrise und des erstarkenden Rechtspopulismus sind die Überlegungen von großer Aktualität.
Die Erklärung
Die Menschheitsgeschichte wird oft als Fortschritt erzählt: Einst herrschte der irrationale Glaube an Mythen, dann kam die Aufklärung. Vernunft, Wissenschaft und Selbstbestimmung erhellten die Welt. Mit diesem Narrativ brechen Adorno und Horkheimer. Für sie ist bereits der Mythos Aufklärung, denn schon dieser versucht, die beängstigende Natur zu bewältigen. Naturbeherrschung ist das zentrale Moment der Aufklärung. Wissenschaft und Technik machen das Leben sicherer und komfortabler. Zugleich aber werden die Menschen selbst objektiviert und ihre Sinnlichkeit und Triebe unterdrückt. Es kommt zum Rückfall in Mythologie: Statt an Schicksal und Dämonen glauben wir an Formeln, Zahlen und die Unveränderbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse. •
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