Frankfurt For Future
In der Dialektik der Aufklärung stellen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno einen Zusammenhang zwischen totalitärem Denken und der Beherrschung der Natur her. Das ist mit Blick auf die Klimakrise gerade heute von großer Aktualität.
„Was wir uns vorgesetzt hatten, war tatsächlich nicht weniger als die Erkenntnis, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt.“ So lautet die zentrale Frage, die sich Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung stellen. Den historischen Anlass bildeten die von den Autoren persönlich erfahrenen Schrecken des Totalitarismus, insbesondere des Nationalsozialismus und des Holocausts. Angesichts dessen erstaunt es, dass ein zentrales Motiv des Buches die Kritik an der „Naturbeherrschung“ ist. Schließlich würde man diesen Topos viel eher in gegenwärtigen Diskursen über Klimawandel und die ökologische Krise und nicht in einer Analyse des Faschismus erwarten.
Bemerkenswerterweise jedoch sehen Adorno und Horkheimer wesentliche Zusammenhänge zwischen Naturbeherrschung und totalitärer Menschenvernichtung. Ihre durchaus abenteuerlich anmutende Annahme: Es gibt eine Verbindung zwischen nationalsozialistischem Antisemitismus und einem ausbeuterischen Zugriff auf den menschlichen Leib und die natürliche Umwelt. Die drei Typen der Herrschaft – über die äußere und innere Natur sowie über andere Menschen – bedingen einander. Ein eindrückliches Bild für diese Zusammenhänge finden sie in der homerischen Odyssee: In seinen zahlreichen Abenteuern lernt der Held Odysseus seine eigene Naturhaftigkeit, also seine körperlichen Triebe, zu kontrollieren, was ihm zugleich eine größere Kontrolle über die äußeren Naturgewalten ermöglicht. Als er mit seinem Schiff an den Sirenen vorüberfährt, mythischen gefiederten Frauengestalten, trifft er radikale Vorkehrungen, um sich gegen ihren „honigtönenden“, verlockenden Gesang zu schützen: Seinen rudernden Gefährten verstopft er die Ohren mit Wachs, sich selbst lässt er an den Mast binden. Die Sirenen versinnbildlichen dabei die Lockungen und Gefahren einer ungezähmten Natur: Lust, Erotik, Rausch, Auflösung des Selbst, aber auch den Tod – auf dem grünen Hügel der Sirenen „ist von Knochen ein großer Haufen, von Männern, die verfaulen, und es schrumpfen rings an ihnen die Häute“.
Um ihr Überleben zu sichern, müssen die Männer ihre innere Natur unterdrücken und auf das gefährliche Glück verzichten. Spontane Impulse, instinktive Regungen, körperliche Empfindungen – alles, was sie mit der natürlichen und tierischen Umwelt verbindet, muss unterdrückt werden. Kurz gesagt ist der Zusammenhang zwischen der Beherrschung der äußeren und der inneren Natur folgender: Nur wer zum Triebverzicht fähig ist, über ein klar von der Umgebung abgegrenztes Selbst und einen kühlen Verstand verfügt, kann in planender Voraussicht die äußeren Naturgefahren bewältigen. Odysseus entwickelt sich zum Ebenbild des modernen Bürgers – rational, aber nie ganz glücklich: „Der Listige überlebt nur um den Preis seines eigenen Traums, den er abdingt, indem er wie die Gewalten draußen sich selbst entzaubert. Er eben kann nie das Ganze haben, er muss immer warten können, Geduld haben, verzichten, er darf nicht vom Lotos essen und nicht von den Rindern des heiligen Hyperion, und wenn er durch die Meerenge steuert, muss er den Verlust der Gefährten einkalkulieren, welche Szylla aus dem Schiff reißt.“ Im historischen Verlauf, den Horkheimer und Adorno in der Odyssee bereits vorgezeichnet sehen, verleugnen und verdrängen die Menschen ihre leibliche Natur und damit auch ihre Zugehörigkeit zur äußeren Natur immer stärker. Geist und Vernunft werden zum ganz Anderen der Natur erklärt und als höherwertig behauptet.
Taxonomien gegen das Leben
Die Naturbeherrschung geht zugleich mit Herrschaft über andere Menschen einher: Odysseus figuriert als Protokapitalist, der über das Schiff (Produktionsmittel) und die Ruderer (Arbeiter) verfügt, selbst tatenlos am Mast liegt und den Sirenengesang passiv vernimmt – ebenso wie es den wohlhabenden Bürgern in späteren Zeiten möglich ist, in Form von Kunst, Musik und Literatur einen begrenzten Zugang zum Glück zu erlangen. Die Ruderer hingegen sind vom Glück völlig ausgeschlossen und müssen unter fremdem Befehl malochen. Bürgerliche Naturbeherrschung nimmt sodann ihren entfesselten Charakter auch dadurch an, dass die obere Klasse überhaupt keinen direkten Umgang mit Natur – etwa in Form von Feldarbeit – mehr hat, sondern die Arbeiter und die Technik dazwischenschaltet.
Das gesamte westliche Denken und die Sprache, so Adorno und Horkheimer, haben sich maßgeblich zum Zweck der Naturbeherrschung herausgebildet. Die spezifische Form, die das Denken im Zuge dessen annimmt, nennt Adorno in der Negativen Dialektik „Identitätsdenken“: „Das Identitätsdenken sagt, worunter etwas fällt, wovon es Exemplar ist oder Repräsentant, was es also nicht selbst ist. Identitätsdenken entfernt sich von der Identität seines Gegenstandes umso weiter, je rücksichtsloser es ihm auf den Leib rückt.“ Was uns je begegnet, wird nicht in seinem konkreten So-Sein erfasst, sondern mit Allgemeinbegriffen gleichgesetzt. Statt auf das Einzelne, je besondere Tier oder die Pflanze, treffen wir etwa auf einen Hund oder einen Haselnussstrauch. Diese Abstraktion war wohl schon für unsere Vorfahren im Überlebenskampf nützlich, weil sie eine rasche Einordnung von Naturphänomenen und damit auch schnelle Entscheidungen ermöglicht: Ist diese Pflanze essbar oder nicht? Ist dieses Tier gefährlich oder nicht? Insofern dient das Identitätsdenken sowohl dem Überleben als auch der Bewältigung der Angst vor dem zunächst Unbegreiflichen. In der westlichen Moderne entwickeln sich hieraus immer abstraktere Taxonomien, und letztlich wird Natur in wissenschaftlichen, mathematisch formulierten Gesetzen erfasst. In diesen Formeln ist von der qualitativen Beschaffenheit der Dinge nichts mehr zu sehen, zugleich ermöglichen sie eine technische Kontrolle der Natur in nie gekanntem Ausmaß.
Mit dem Kapitalismus schließlich verwirklicht sich das Identitätsdenken auch im ökonomischen Bereich: Güter werden mit ihrem Tauschwert, ihrem Preis, identifiziert – ihre qualitative Beschaffenheit beziehungsweise ihr Gebrauchswert tritt in den Hintergrund. Die Entwicklung der modernen Wissenschaft und des Kapitalismus hatten wünschenswerte Folgen: eine massive Steigerung von Wohlstand und Sicherheit. Zugleich jedoch haben sie das Gefühl einer lebendigen Verbindung zwischen Mensch und Natur nachhaltig zerstört. Wenn Tiere nur noch als Gattungsexemplare oder Variablen in einer wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Formel auftreten, verschwinden alle Skrupel, etwa bei der Massentierhaltung. Während für viele indigene Völker die Natur als beseelt gilt und nach der Tötung eines Tieres die rituelle Entschuldigung folgen muss, stellt sie für westliche Rationalität ein Objekt dar, das nach Belieben manipuliert und ausgenutzt werden kann. Der rücksichtslose, verdinglichte Umgang erstreckt sich zugleich auch auf den menschlichen Körper – auch er kann etwa im Zuge der Klassenverhältnisse oder des Rassismus zum bloß Kreatürlichen abgewertet und ausgebeutet, ja vernichtet werden. Adorno und Horkheimer gehen davon aus, dass sich eine solche Abwertung auch in Bezug auf die Juden vollzogen hat, die dann wie Schädlinge industriell vernichtet wurden.
Fehlt Mitgefühl, bleibt Zerstörung
Für Adorno und Horkheimer liegt im gestörten, feindlichen Verhältnis zur Natur das Grundproblem westlicher Rationalität. Denn ohne eine Beziehung zur eigenen Natur, zu Trieben und Bedürfnissen, ohne ein Bewusstsein für die Bedingtheit durch die äußere Natur und ohne Mitgefühl für andere Lebewesen wird diese Rationalität destruktiv und ziellos. Sie bekommt selbst etwas Triebhaftes und Blindes. Letztlich führt sie zur technisch perfekten Organisation destruktiver Unterfangen – der Holocaust ist hier das Extrembeispiel. Auch der Klimawandel lässt sich als Ergebnis dieser fehlgeleiteten Rationalität begreifen, die zwar ursprünglich dem menschlichen Überleben der Menschen dienen sollte, aber in ihrem Willen zur Naturbeherrschung letztlich auch dem Überleben gegenüber gleichgültig wird.
Die allegorische Figur der modernen Naturbeherrschung, sozusagen der Odysseus des Industriezeitalters, findet sich in der Romanverfilmung There will be blood (2008) von Paul Thomas Anderson. Die Hauptfigur Daniel Plainview arbeitet sich besessen vom Silberschürfer zum Ölunternehmer empor. Gegenüber seinem eigenen Körper ist er völlig kalt. Als er sich zu Beginn des Filmes in einer Silbermine das Bein bricht, führt ihn sein Weg nicht etwa zum Arzt, sondern zum nächsten Händler, um den Wert des Silbers schätzen zu lassen. Ebenso kalt ist er gegenüber seinen Mitmenschen, sexuelle Beziehungen spielen in seinem Leben keine Rolle. Einen triebhaften Charakter haben jedoch seine Ölbohrungen, geradezu orgiastisch schießt die schwarze Flüssigkeit aus der Erde, die rücksichtlos penetriert wird. Am Ende des Filmes schießt das Blut aus dem Kopf von Plainviews Konkurrenten, dem er den Schädel mit einem Kegel zertrümmert hat. Die Ausbeutung und Zerstörung der Natur und seiner Mitmenschen, das Steigern seines Reichtums scheinen für Plainview Selbstzweck zu sein – nie sieht man, wie er sich an seinen Erfolgen erfreut oder sich einmal entspannt. Plainview ist damit die paradigmatische Gestalt des Anthropozäns, in dem die Menschen sich zunehmend von sich selbst und ihrer Umwelt entfremden und natürliche Ressourcen ohne Rücksicht auf Verluste ausbeuten.
In der Klimakrise zeigen sich nun mit aller Deutlichkeit die desaströsen Folgen, die der Versuch einer grenzenlosen Naturbeherrschung hat. Gerade die exzessive technische und wissenschaftliche Manipulation der Natur hat letztlich zu kaum mehr kontrollierbaren Effekten geführt. Ebenso wie sich verdrängte menschliche Triebe nach einer gewissen Zeit in verzerrter Form Bahn brechen, äußern sich auch die unterdrückten Kräfte der äußeren Natur. Mit Horkheimer und Adorno lässt sich deshalb vor bestimmten Reaktionsweisen auf die derzeitige Krise warnen. Etwa vor dem Geoengineering, das den Temperaturanstieg in der Atmosphäre durch Eingriffe in die geochemischen Kreisläufe der Erde verhindern will. Solche Verfahren verstärken die Naturbeherrschung noch weiter, mit unabsehbaren Folgen. Kritisch zu sehen sind auch jene Ansätze, klimafreundliches Verhalten und Produkte marktwirtschaftlich profitabel zu machen, denn Kapitalismus und destruktive Naturbeherrschung sind aufs Engste miteinander verzahnt. Solche Verfahren ändern nichts am aneignenden Zugriff auf Natur, die den menschlichen Subjekten weiterhin als manipulierbares Objekt gegenübergestellt wird. Es wäre stattdessen, so Horkheimer und Adorno, nach einem „versöhnten“ Verhältnis zur Natur zu suchen, das diese in ihrer Eigenständigkeit sowie als Bedingung menschlichen Daseins anerkennt. •