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Gespräch

Anna Tsing: „Bei Plantagen handelt es sich um ein ganzes System der Entfremdung, das bis zu unserem modernen Kapitalismus geführt hat”

Anna Lowenhaupt Tsing, im Interview mit Victorine de Oliveira veröffentlicht am 14 August 2025 7 min

Die Anthropologin Anna Tsing feierte mit ihrem Essay Der Pilz am Ende der Welt große Erfolge. Gemeinsam mit Donna Haraway entwickelte sie den Begriff „Plantationozän” und zeigt in ihrem aktuellen Buch die Verwobenheit von Mensch und Natur auf.  

Frau Tsing, Sie stellen Ihren aktuellen Essay als „Feldführer“ dar. Sind wir so verloren in den Veränderungen, die unsere Umwelt betreffen?

Meine Co-Autorinnen und ich sind der Meinung, dass wir die Welt aus einem radikal anderen Blickwinkel betrachten müssen. Wir sind es gewohnt, die Natur als unberührten Raum zu definieren, der frei von menschlichen Spuren ist, ohne Straßen, Züge oder Gebäude, im Gegensatz zu Landschaften, die von Menschen verändert wurden. Diese Binarität ist überhaupt nicht mehr relevant. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Natur und die menschliche Geschichte so sehr miteinander verflochten sind, dass wir davon ausgehen müssen, dass wir Teil einer „neuen Natur“ sind, die wir mit neuen Augen betrachten müssen. Wir hoffen, dass Leser mit diesem Feldführer üben können, die Anzeichen dieser Transformation zu erkennen – im Guten wie im Schlechten.

Was sind die Merkmale dieser neuen Natur?

Sie zeichnet sich durch die Verbreitung dessen aus, was wir als „feral effects“ bezeichnet haben. Das englische Wort feral ist schwer zu übersetzen, da es verschiedene Dinge bedeuten kann, darunter auch Tiere, die nach einer Episode der Domestizierung wieder in die Wildnis entlassen werden. Ein Hofschwein, das vom Hof ausbricht und im Wald lebt, würde man als feral bezeichnen. Wir haben die Bedeutung des Begriffs auf alle Auswirkungen ausgeweitet, die durch menschliche Aktivitäten und Infrastrukturen hervorgerufen werden, sich aber der Kontrolle der Menschen entziehen und manchmal sogar ohne ihr Wissen fortbestehen. Nicht alle feral effects sind schlecht, aber in der Regel sind sie Anzeichen einer Umweltkatastrophe und das Ergebnis besonders unmenschlicher Arbeitsbedingungen. Diese Effekte können sehr unterschiedliche Formen annehmen – vom Auftreten einer neuen Spezies im Zusammenhang mit Handel über Landschaftsveränderungen nach dem Bau eines Gebäudes bis hin zu Strahlung, die aus einer Atomanlage austritt. Der Sklavenhandel auf Schiffen, auf denen Menschen ausschließlich aus Platzgründen zusammengepfercht wurden, ohne je auf ihr körperliches Wohlbefinden zu achten, führte beispielsweise zur Entstehung eines neuen Moskitostamms, der die Sklaven und ihre Wärter infizierte, dann amerikanisches Territorium eroberte und neue Krankheiten verbreitete. Diese Mückenlinie, die durch den Kontakt mit Leid entstanden ist, überträgt auch heute noch Dengue- oder Zika-Viren.

Inwiefern unterscheidet sich die „neue Natur“ vom Anthropozän?

Das Anthropozän ist ursprünglich ein Begriff, der von Geologen verwendet wurde, um ein neues Zeitalter zu bezeichnen. Der Begriff ist jedoch nicht konsensfähig, da die Internationale Kommission für Stratigraphie die Einstufung des Anthropozäns als neues geologisches Zeitalter 2023 ablehnte. Die Idee einer neuen Natur ermöglicht es uns, die Aufmerksamkeit stattdessen auf die sehr unterschiedlichen Gebiete zu lenken, auf denen sich durch menschliches Handeln bedingte Veränderungen vollziehen.

Sie bezeichnen verschiedene Gelände als „Patches“. Was bedeutet dieser Begriff?

Die feral effects treten nicht universell und einheitlich auf dem gesamten Globus auf – oder zumindest selten. Sie sind vielmehr lokal und auf ein geografisches Gebiet beschränkt. Der Begriff „Patch“ stammt aus der Landschaftsökologie und wurde zunächst zur Kartierung von Orten verwendet, an denen der menschliche Einfluss gering war. Wir stellten jedoch fest, dass er auch für die Bezeichnung von Orten zutreffend ist, an denen ein sehr spezifischer Umschwung eine Geografie geschaffen hat, die man als feral bezeichnen könnte. Das Schwarze Meer ist eines der auffälligsten Beispiele für dieses Phänomen: Es ist ein begrenzter, enger Raum mit sehr wenigen Öffnungen – nur die Meerengen von Kertsch und Bosporus –, alles Bedingungen, die es ermöglicht haben, dass das Meer zum Wirt für eine Vermehrung von Ctenophora, sogenannten Rippenquallen, wurde. In den 1980er Jahren löschten diese Quallen die Fischpopulationen vollständig aus – sie verschlangen die Fische, wenn sie noch ganz klein waren, und verhinderten so, dass sie sich fortpflanzen konnten. Diese Verdrängung war sowohl das Ergebnis von Überfischung als auch des Abfließens von Chemikalien aus der Landwirtschaft, die die Fische schwächten. Die Rippenquallen wiederum wurden versehentlich durch das Wasser, das sich in den Ballasttanks von Handelsschiffen befindet, in das Schwarze Meer eingeschleppt. Dieses Meer als Patch zu betrachten, ermöglicht eine genaue Untersuchung aller Faktoren, die zur Eliminierung seiner Biodiversität geführt haben. Durch eine Analyse der Verbindungen zwischen den Patches kann man verstehen, wie das Anthropozän zustande kam – denn es sind die Patches, die das Anthropozän hervorbringen, und nicht umgekehrt.

Entsprechen Patches immer einem bestimmten geografischen Gebiet?

Man kann einen Patch beispielsweise anhand des Bereichs definieren, in dem sich ein aus einer Industrieanlage entwichenes Gift ausgebreitet hat. Ein Patch kann aber auch einer Art von landwirtschaftlicher Nutzung entsprechen, wie etwa der Plantage. Während Plantagen heute eine Farm mit Monokulturen – wie Kaffeebäume – bezeichnen, verweisen sie auch auf die europäische Kolonialvergangenheit, ihr Erbe der Zwangsarbeit und der Ausbeutung von Menschen wie auch von Lebewesen im Allgemeinen. Dieses Erbe prägt noch immer unsere moderne Landwirtschaft, insbesondere durch die Vorstellung, dass eine gewisse Arbeitsdisziplin und erniedrigende Bedingungen notwendig seien, um Gewinne für entfernte Investoren zu erzielen. Die Plantage ist ein typischer Patch, denn ihre extrem vereinfachte Ökologie erzeugt sowohl soziale Ungerechtigkeit als auch das Auftreten neuer Krankheiten, die Pflanzen und manchmal Menschen befallen. Es handelt sich um ein ganzes System der Entfremdung, das sich ausgebreitet und zu unserem modernen Kapitalismus geführt hat. Das geht so weit, dass Donna Haraway und ich den Begriff „Plantationozän“ vorgeschlagen haben.

Wie kamen Sie auf die Idee, dass das Anthropozän in Patches funktioniert?

Ich habe angefangen, über Patches nachzudenken, als ich mich mit Pilzen beschäftigte. Die meisten Pilze haben die Eigenart, in kleinen Patches zu wachsen. In der amerikanischen Forstwirtschaft ist es jedoch Tradition, Räume mit großen Baumeinheiten und Transekten, also geraden Linien, zu kartografieren. Wenn es um Pilze geht, ist das eine lächerliche Methode, denn man kann einige von ihnen, die sich nur wenige Meter vom Transekt entfernt auf beiden Seiten der geraden Linie befinden, völlig übersehen. Pilze haben es mir also ermöglicht, größere Phänomene zu erfassen.

Das ist auch passiert, als Sie sich für den Matsutake, den „Pilz des Weltuntergangs“, interessierten. Wie hat Sie die Beschäftigung mit diesem Pilz dazu gebracht, etwas über die Funktionsweise des modernen Kapitalismus zu verstehen?

Der Pilz ist in Japan eine Delikatesse, während er für die meisten Menschen einen schrecklichen Geruch nach Erbrochenem verströmt. Als ich in die Wälder von Oregon reiste, wo sehr arme Sammler aus Südostasien den Masutake aufspüren, um ihn zu Höchstpreisen an japanische Liebhaber zu verkaufen, dachte ich, dass ich mein Thema gefunden habe. Denn die Matsutake-Pflücker wissen überhaupt nichts über Japan. Sie haben dieses Land nie betreten und interessieren sich nicht im Geringsten dafür. Selbst die ersten Käufer des Pilzes haben nur eine sehr vage Vorstellung davon, wie dieses ferne Land aussieht, von dessen Sprache sie kein Wort sprechen. Wenn man sie fragt, stellt man fest, dass sie eine ganze Reihe von Vorurteilen, sogar Fantasievorstellungen davon haben, was Japaner dazu bringt, diese teure Rarität zu konsumieren. Am anderen Ende der Kette wissen die japanischen Verbraucher nur wenig darüber, wie Pflücker in Oregon arbeiten und wer sie sind. Gleichzeitig hegen sie Stereotype darüber, wie in den USA Geschäfte gemacht werden. Entlang der gesamten Handelskette des Matsutake kann man die für eine globalisierte kapitalistische Wirtschaft typischen Brüche, Missverständnisse, Treffpunkte und Patches beobachten. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um eine Kombination verschiedener Wirtschaftstypen, die je nach untersuchtem Maßstab mehr oder weniger informell sind - die Pflücker aus Oregon bilden beispielsweise eine eigene Wirtschaft. Der Schatten des Kapitalismus schwebt daher ständig über dem, was wir an den Rand stellen wollen, und zwar so sehr, dass ich die Hypothese aufgestellt habe, dass die kapitalistische Wirtschaft nichts anderes ist als das Produkt dieser Brüche, dieser Kulturen, die nebeneinander existieren, ohne sich immer zu begegnen, und sogar ihrer Konfrontation.

Befürchten Sie nicht, dass Ihr Interesse an Lebensformen, die in ökologisch geschädigten Gebieten gedeihen, denjenigen Auftrieb geben könnte, die behaupten, dass der Klimawandel in Wirklichkeit ein natürlicher Zyklus ist, der zur Entstehung neuer Arten führen wird?

Die Schäden, die meine Aufmerksamkeit erregt haben, sind nicht von der Art, dass sie jede Möglichkeit des Lebens ausgelöscht haben, es gibt immer noch die Bedingungen für eine Erholung. Aber ich möchte tatsächlich nicht, dass man sich einredet, dass wir in einer Welt leben, in der es immer Pilze geben wird, egal was passiert. Ich möchte keine transzendente Hoffnung, die zur Untätigkeit führt. Wir leben in einer Welt, in der wir es für selbstverständlich halten, Wasser, Luft und gesunde Nahrung zu haben. Doch nichts davon ist selbstverständlich, und wir zerstören zunehmend die Bedingungen vor Ort, unter denen dies möglich ist. Auch diesen Gedanken habe ich von Donna Haraway übernommen: Ich glaube, dass wir uns zwingen müssen, die schrecklichen Dinge, die wir verursacht haben, aus der Nähe zu betrachten, und dass wir uns daran gewöhnen müssen, über diese Katastrophe nachzudenken. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, ins Detail zu gehen und Reflexionsmaßstäbe wie den des Patches zu mobilisieren. Der Patch ist eine Handlungseinheit, er ist der Maßstab, mit dem es möglich ist, zu handeln und Verantwortlichkeiten zu identifizieren, wenn wir uns angesichts globaler Phänomene hilflos fühlen. •

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