Innere und äußere Stimmen
Ohne Intuitionen wären wir heillos verloren. Doch kann uns die innere Stimme auch täuschen. Um was für eine Instanz handelt es sich? Eine Spurensuche von Svenja Flaßpöhler.
Hör auf deine Intuition! So sagt man, wenn eine schwierige Entscheidung ansteht, bei der unsere Rationalität an ihre Grenzen stößt. Pro- und Contra-Listen mögen bis zu einem gewissen Punkt helfen, doch was können uns Tabellen verraten, wenn schlicht noch nicht abzusehen ist, wie eine Veränderung, die man vorzunehmen gedenkt, sich auswirken wird? Wer sich etwa mit der Frage herumquält, ob der Job in einer anderen, fernen Stadt wohl mehr Erfüllung mit sich bringt als der aktuelle, ist auf ähnliche Weise mit (Noch-)Nicht-Wissen konfrontiert wie ein junges Paar, das einen Kinderwunsch hegt. Oder wie ein verliebter Mensch, der nicht sicher sein kann, ob der oder die andere wirklich zu ihm passt. Ja, selbst viele Änderungen von Alltagsgewohnheiten, die gerade jetzt, zum Jahreswechsel, einer kritischen Neubewertung unterzogen werden, sind bei Licht betrachtet mehr als reine Vernunftentscheidungen. Sollte ich vielleicht 2023 für einen Marathon trainieren? Macht mir Badminton wirklich noch Spaß? Wäre ein Chor eine gute Idee? Oder ein Theater-Abo? Was will ich, was macht mich glücklich? Wer bin ich, mit was kann ich mich identifizieren? Fragen, aus denen sogleich ersichtlich wird, wie existenziell bereits das Problem des richtigen Hobbys ist und wie schwer sich sagen lässt, welcher Weg denn nun einzuschlagen wäre: In der Arbeit, in der Liebe – dem Leben als solchem.
Wenn die rechnende Rationalität also versagt: Kann uns dann die Intuition die Richtung anzeigen, uns gar versichern, dass wir nicht auf dem Irrweg sind? Und ist sie es auch, die uns in Situationen, die gar keine Zeit lassen für lange Abwägungen, wie von Zauberhand das Richtige tun lässt? Um diese Frage zu beantworten, wäre zunächst zu klären, was das eigentlich ist: Intuition. Und damit fängt das Problem schon an. Alltagssprachlich setzen wir die Intuition oft mit Bauchgefühl gleich. Doch ein Blick in die Philosophiegeschichte zeigt, dass diese Kraft weit mehr ist – ja, vielleicht sogar etwas ganz anderes. Übersetzt meint dieses Wort lateinischen Ursprungs: unmittelbare Anschauung. Gemeint ist damit das schlagartige Erfassen eines Gegenstands, und zwar in seiner Gänze. Für den antiken Philosophen Plotin hat die Intuition folglich rein gar nichts mit einem Gefühl zu tun: Sie ist ein Akt des reinen Geistes und steht als solcher in Verbindung zum „Einen“, dem höchsten Prinzip, das allem Seienden vorausgeht. Damit wäre benannt, was manch einer heute noch mit der Intuition verbinden mag: nämlich eine nachgerade göttliche Inspiration, die wie aus dem Nichts kommt und uns ermöglicht, inmitten des Dickichts an Optionen den rechten Pfad einzuschlagen.
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