Kleine Philosophie des Wartens
Rote Ampeln, lange Schlangen an der Kasse – die täglichen Zwangspausen wollen wir am liebsten abschaffen. Dabei könnten sie ein Sandkorn im Getriebe der permanenten Verwertungsmaschinerie sein. Und ein Tor zur Philosophie.
Wir tun es ständig, im Starkregen oder in der prallen Sonne, im Morgengrauen und am Abend. Wir warten – auf den nächsten Bus oder eine kurze Nachricht, auf die große Liebe und auf das Ende einer Krise. Obwohl der Aufschub omnipräsent ist, wird er gerne verflucht und verdrängt. Wir halten die Warterei nämlich nicht nur für einen unbedeutenden, sondern auch für einen äußerst unangenehmen Zustand. Laut einer Studie aus dem Jahre 2016 sind die kleinen Zwangspausen im Alltag für die Deutschen das Feindbild Nummer 1. Über 55 Prozent regen sich darüber auf – das Warten ist damit ein noch größeres Ärgernis als etwa die Unfreundlichkeit anderer Menschen.
Es ist eine ziemlich absurde Situation: Ständig hetzen wir gestresst vom einen zum nächsten und sehnen uns deshalb nach kaum etwas so sehr wie nach Ruhe – doch gerade dann, wenn wir Zeit zum Innehalten hätten, steigen Frust oder Wut in uns auf. Ob an Bahnhöfen oder Bushaltestellen, im Wartezimmer oder an der Supermarktkasse, das Warten geht uns so sehr gegen den Strich, dass wir dabei das vielleicht Wertvollste, was wir haben, am liebsten „totschlagen“ wollen: die Zeit. Wie kann das sein?
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