Soll ich auf mein Bauchgefühl hören?
Der Kopf sagt Ja, der Bauch sagt Nein. Jeder kennt diesen Zwiespalt: Obwohl die Entscheidung richtig scheint, bleibt doch ein „ungutes Bauchgefühl“. Ignorieren oder der Intuition folgen? Drei Positionen.
Nein, Gefühle können die Vernunft trüben
Immanuel Kant
1724–1804
Allein die Vernunft und damit der Kopf ist Entscheidungsträger. Gefühle oder intuitives Handeln hält Kant für unzuverlässig, da es subjektiv und nicht verallgemeinerbar ist. Wenn es also darum geht, die moralisch gute und – damit in Kants Augen richtige – Entscheidung zu treffen, sollten wir auf unseren Kopf hören. Eine Bauchentscheidung kann von Vorurteilen, Neigungen und Trieben geleitet sein und uns damit vom rechten Weg abbringen. Kants kategorischer Imperativ „Handle nur nach der Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ fordert, eine Entscheidung rational zu treffen und auf spontane Bauchentscheidungen zu verzichten.
Ja, unsere Emotionen sind kognitive Werturteile
Martha Nussbaum
*1947
Unser Bauchgefühl hat uns etwas zu sagen. Emotionen sind laut Martha Nussbaum „intelligente Reaktionen auf die Wahrnehmung von Werten“, unsere emotionale Reaktion liefert uns also Informationen über die Situation oder das jeweilige Objekt. Wer Angst vor einer Schlange hat, nimmt diese als bedrohlich wahr und registriert dadurch Gefahr. Nussbaum schreibt Gefühlen damit einen eigenen Erkenntniswert zu, sie sind ein wichtiger Teil der Urteilsfindung. Sie kritisiert die strikte Trennung von Verstand und Gefühl und plädiert dafür, Gefühle nicht nur als bloße körperliche Reaktionen abzuwerten, sondern sie ernst zu nehmen und zu versuchen, sie zu verstehen. Emotionen tragen laut Nussbaum im kognitiven Zusammenspiel erheblich zum Erkenntnis- und Entscheidungsprozess bei. Unser Bauchgefühl ist demnach nicht nur ein spontaner Impuls, sondern birgt wertvolle Einschätzungen und Bewertungen.
Ja, in unserem Bauchgefühl äußert sich die Stimme des Gewissens
Jean-Jacques Rousseau
1712 – 1778
Ein ungutes Bauchgefühl geht oft mit Gewissensbissen einher, sich falsch entschieden zu haben. Das kennt auch Jean-Jacques Rousseau, der das Gewissen als eine „Stimme des Herzens“ beschreibt. Der Mensch sei zwar auf die Vernunft angewiesen, um das Gewissen überhaupt auszubilden, dennoch sei dies ein Gefühl. Während sich die Vernunft irren kann, unterliegt das Gewissen als reines Gefühl nicht der Fehlbarkeit der Vernunft. „Zu oft trügt uns die Vernunft, wir sind nur allzu berechtigt, sie abzuweisen; aber das Gewissen täuscht nie; es ist der wahre Führer des Menschen: es ist für die Seele, was der Instinkt für den Leib ist; wer ihm folgt, gehorcht der Natur und fürchtet nicht, in die Irre zu gehen.“ Anders als der Kopf, der sich auch mal vertun, verrechnen kann, liegt das Bauchgefühl laut Rousseau immer richtig. •