Woran erkennen wir eine richtige Intuition, Herr Gabriel?
Intuitionen können uns in die Irre oder zu tiefen Einsichten und richtigen Entscheidungen führen. Aber wann genau gilt es, der eigenen Intuition gegenüber skeptisch zu werden? Markus Gabriel über eine schwer zu ziehende Grenze.
Herr Gabriel, was ist eine Intuition?
Markus Gabriel: Intuition ist die Erkenntnis einer einfachen Wahrheit. Einfache Wahrheiten gehen in Schlüsse und Argumente ein, aber sie können sich nicht durch Schlüsse und Argumente beweisen lassen. In der Tradition, etwa bei Kant, ist auch von „Anschauung“ die Rede, damit ist die unmittelbare sinnliche Erfassung eines Gegenstands gemeint. Ich sehe Sie zum Beispiel gerade auf diesem Bildschirm. Ich habe kein Argument dafür, dass ich Sie sehe. Ich kann nicht beweisen, dass ich nicht träume, aber ich habe die Intuition, dass ich Sie sehe. Daraus kann ich verschiedene Dinge ableiten. Dass Sie häufig eine Brille tragen etwa. Das heißt, meine Intuition ist meine Verankerung in der vorargumentativen Realität. Ohne diese Realität gibt es keine Inhalte in der Philosophie. Das ist die Idee der Intuition.
Für Henri Bergson ist die Intuition etwas Drittes zwischen Intellekt und Instinkt. Können Sie damit etwas anfangen?
Bergson und andere Theoretiker versuchen, uns geheimnisvolle Fähigkeiten anzudichten. Die Intuition gewinnt so etwas Mysteriöses, als gäbe es geheimnisvolle Kräfte des Geistes, die manche besitzen, andere nicht. Es ist natürlich richtig, dass bei mathematischen Fragen manche Menschen bessere Intuitionen haben als andere Menschen. Auch bei philosophischen Fragen haben manche eine bessere Intuition. Das ist einer der Gründe, warum einige Philosophen und andere Mathematiker werden. Aber von einer göttlichen Inspiration auszugehen, ist Aberglaube. Bei den Intuitionstheorien von Platon, Aristoteles oder Descartes geht es zwar auch um das Göttliche, aber nicht in dem Sinne, dass es geheime Einflüsse gibt, sondern das Erkennen einfacher Wahrheiten ist schon das Göttliche! Bei Platon meint Intuition: das Erfassen der Ideen. Da braucht es nicht noch göttlichen Einfluss.
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Kommentare
Ob eine Intuition richtig war, sieht man wohl oft erst am Ergebnis.
Einzuschätzen, ob eine Intuition wahrscheinlich richtig ist, wenn man sie braucht - da hilft vielleicht mehr und weniger diesbezügliches Wissen, welches die Intuition informiert, sowie Erfahrung mit vorherigen Intuitionen der Art, also Lernen zusammen mit Versuchen.
Wenn die Intuition im Ergebnis tendenziell eher besser werden soll, dann hilft vielleicht der geduldige Versuch positiver, konstruktiver Aktivität mit wahrscheinlich guten Folgen, unter anderem durch Lernen und Versuchen. Denn dann lernt man wohl eher, Intuitionen jener Art Qualität zu verleihen, mit welchen man langfristig glücklich wird. Und dann kann vielleicht etwas werden, womit man seine misslingenden Versuche, auch aufgrund falscher Intuitionen, und sein Dasein begleichen kann.
Vielleicht kann man Vorabendserien wie "Rote Rosen" als intuitionsformativ bezeichnen.
Markus Gabriel bestreitet in seinem Buch "Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten" auf S.152 f., dass es ethische Dilemmata gibt. Folgerichtig delegiert er die Stellungnahme zu dem meiner Ansicht nach offensichtlichen Dilemma, ob es ethisch geboten sei, dem weniger Bösen gegen das schlimmere Böse beim Töten zu helfen, an die genannten "Militärstrategen", da diese die relevanteren und damit(?) besseren Intuitionen hätten.