Was bedeutet es zu verzeihen?
Ungerechtigkeiten gehören zum Alltag – doch wie geht man mit ihnen um? Eine Möglichkeit: verzeihen. Aber was steckt eigentlich dahinter?
Unmögliches tun
Jacques Derrida
1930–2004
Für Derrida ist das Verzeihen ein Paradoxon. Er schreibt: „Die Vergebung, wenn es sie denn gibt, darf und kann nur das Nichtvergebbare, das Unsühnbare vergeben – und also das Un-Mögliche tun“. Wahres Verzeihen muss unbedingt sein und darf nicht an Reue, Schuldeingeständnis oder Wiedergutmachung seitens des Täters geknüpft sein. Gerade diese Differenz zwischen unbedingtem und bedingtem Verzeihen – wie man es etwa im politischen oder rechtlichen Kontext findet, wo es meist an Wiedergutmachung gebunden ist – wird von Derrida thematisiert. Er behauptet, dass das Verzeihen, wenn es unter Bedingungen gewährt wird, sich „von einem Kalkül kontaminieren (lässt), das (es) korrumpiert“. Wesentlich ist für Derrida, dass das Verzeihen nur dort existieren kann, wo das Unverzeihliche geschieht – und dass einzig dieses Unverzeihliche nach Verzeihung ruft.
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