Alexander Grothendieck, ein außergewöhnlicher Mathematiker
Zum internationalen Welttag der Mathematik stellen wir Ihnen den genialen Mathematiker, radikalen Umweltschützer und vehementen Antimilitaristen Alexander Grothendieck vor, dessen Arbeiten den Blick des Faches auf sich selbst grundlegend verändert haben.
1928: Eine Kindheit im Zeichen des Anarchismus
Alexander Grothendieck wurde 1928 in Berlin in eine jüdische Familie geboren. Seine ukrainischer Vater und seine deutsche Mutter verkehrten in anarchistischen Kreisen. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme flohen sie 1933 zunächst nach Frankreich. Kurze Zeit später zogen sie weiter nach Spanien und unterstützten dort die anarchosyndikalistische Bewegung in der sozialen Revolution. Alexander blieb zunächst in Deutschland, wurde einem protestantischen Pastor in der Nähe von Hamburg anvertraut und später in einem Kinderheim der Schweizer Kinderhilfe versteckt. So heißt es in seiner Autobiografie mit dem Titel Récoltes et Semailles (Ernte und Aussaat) (Gallimard, 2022): „Die meisten von uns waren Juden, und wenn wir (von der örtlichen Polizei) gewarnt wurden, dass es Razzien der Gestapo geben würde, versteckten wir uns für eine Nacht oder zwei in kleinen Gruppen von zwei oder drei in den Wäldern, ohne uns wirklich bewusst zu sein, dass es um unsere Haut ging. Die Gegend war voll von Juden, die sich im Land der Cevennen versteckt hatten, und viele überlebten dank der Solidarität der örtlichen Bevölkerung.“ Im Mai 1939 fand er seine Eltern wieder. Sein Vater aber, der als gefährlicher Agitator galt und sowohl vom zaristischen Russland als auch von der Roten Armee mehrfach zum Tode verurteilt worden war, wurde bald in ein Konzentrationslager verschleppt. Er starb 1942 in Auschwitz. Seine Mutter und er überlebten und zogen nach dem Krieg nach Montpellier. Aufgrund seines verworrenen Lebenswegs blieb Alexander lange Zeit staatenlos.
1949: Einführung in die Mathematik und erster Durchbruch
Grothendieck schrieb sich an der Universität Montpellier ein. Er erhielt ein Empfehlungsschreiben für die École normale Supérieure. Mit gerade einmal einundzwanzig Jahren war der junge Mann auf dem Gebiet der Mathematik praktisch Autodidakt: „Ich verbrachte einen Großteil meiner Zeit, sogar während der Unterrichtsstunden, damit, Matheaufgaben zu lösen. Bald genügten mir die im Buch enthaltenen nicht mehr. Vielleicht, weil sie mit der Zeit zu sehr dazu neigten, einander zu sehr zu ähneln; vor allem aber, glaube ich, weil sie zu sehr vom Himmel fielen, einfach so, in einer Reihe, ohne zu sagen, woher sie kamen oder wohin sie gingen. Das waren die Probleme des Buches, nicht meine Probleme“. Seine Lehrer Laurent Schwartz und Jean Dieudonné legten ihm eine Liste mit vierzehn Problemen vor, die allesamt höchst schwierig sind. Grothendieck gelingt es innerhalb weniger Monate alle zu lösen.
1966: Von der Neuerfindung der Geometrie zur Fields-Medaille.
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