Beginnt das wahre Leben im Ruhestand?
Wer jung ist, so eine verbreitete Überzeugung unserer Tage, lebt kraftvoll, intensiv und schlicht am besten. Doch ist das wirklich so? Cicero, Karl Marx und Hannah Arendt sehen die Sache mit dem Alter differenzierter.
Cicero: Zum Teil, weil das Alter verborgene Schätze birgt.
„Das Alter; alle wünschen es zu erreichen; haben sie es dann erreicht, dann beklagen sie sich darüber.“ Diese Feststellung machte Cicero im ersten Jahrhundert v. Chr.. In seinem kurzen Dialog Cato der Ältere über das Alter macht sich der alternde Philosoph und Redner daran, vier Argumente zu entkräften, die uns oftmals dazu verleiten, die Jugend dem Alter vorzuziehen: der vermeintliche Ausschluss vom aktiven Leben, der Verlust von Energie, der Entzug von Freuden und die Nähe des Todes. Der Grund für diese Beschwerden, so versichert Cicero, liege in der Sichtweise auf das Alter, nicht im Alter selbst. „Schuld an allen derartigen Klagen hat der Charakter des Menschen, nicht das Alter. Wer nämlich im Alter anspruchslos, leutselig und freundlich ist, der kann es ganz gut aushalten. Misslaune jedoch und unfreundliches Wesen machen das Leben zur Qual, ganz gleich, wie alt man ist.“
Das Alter bringt nicht nur eine Form der Mäßigung mit sich, die die Seele ruhiger werden lässt, sondern ist für Cicero auch eine Art Ausbildung, deren positive Seiten sich dann im Alter besonders bemerkbar machen. Die Zeit, so Cicero, ist unser Verbündeter, insbesondere für alles, was mit dem Geistesleben zu tun hat: „Die besten Waffen gegen die Beschwerden des Alters, [...] sind die Wissenschaften und die praktische Verwirklichung sittlicher Werte. Sie trägt, wenn man sie in jedem Lebensalter gepflegt hat, nach einem langen und reichen Leben herrliche Früchte.“
Cicero nimmt sich „alte Männer“ zum Vorbild, die ihre produktivsten Jahre spät erlebt haben: Platon, Sophokles, Homer und Hesiod. Daran macht er fest, dass das hohe Alter eine Form von intellektueller Freude mit sich bringen könne ebenso wie ein hohes Maß an Autorität, das als Zeichen eines mit Rechtschaffenheit und Verantwortungsbewusstsein geführten Lebens zu werten ist. Dazu habe allerdings auch die jüngere Generation beizutragen, da es schließlich leichter für die Alten sei, wenn sie „von der Jugend geachtet und geliebt“ würden. Solange wir uns nicht in „äußerster Armut“ befinden, so versichert Cicero, ist das mittlere Lebensalter sehr wohl dasjenige, in dem wir am meisten Erfüllung finden können.
Karl Marx: Ja, aber nur, weil unsere Arbeit entfremdend ist.
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