„Des Teufels Bad“ – Mörderische Erlösung
Im 18. Jahrhundert begingen Menschen mittelbaren Suizid. Sie töteten Kinder, um dafür hingerichtet zu werden. Der ab heute im Kino zu sehende Film Des Teufels Bad widmet sich dieser grausamen Praktik und macht den Leidensdruck durch Gesellschaft und Religion deutlich.
Lange Zeit galt im christlichen Kulturkreis Suizid als die schlimmste aller Sünden. Denn anders als bei anderen Vergehen, haben die Täter keine Möglichkeit mehr ihre Tat zu bereuen und über die Beichte ihre Seele zu retten. Wer sich selbst umgebracht hat, war verbannt. Doch früher wie heute sind Menschen gewillt, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Um der ewigen Verdammnis zu entgehen, etablierte sich deswegen im 18. Jahrhundert im europäischen Raum die Praxis des mittelbaren Selbstmords. Dabei wurden Kinder von Personen umgebracht, die sich nach der Tat selbst anzeigten, um für ihre Gräueltat hingerichtet, und so gesühnt zu werden. Diesem bislang historisch unterbeleuchteten Thema widmet das Regie-Duo Veronika Franz und Severin Fiala auf der diesjährigen Berlinale einen tief ins Mark gehenden Film.
Die Handlung spielt in Oberösterreich im Jahr 1750 und erzählt die Geschichte von der tiefgläubigen Agnes – beeindruckend gespielt von Anja Plaschg –, die frisch mit dem im Nachbardorf lebenden Wolf – gespielt von David Scheid – verheiratet wird. Gemeinsam beziehen sie ein Haus im kleinen Heimatdorf des Mannes. Im Verbund mit der Dorfgemeinschaft verdienen sie ihren Lebensunterhalt mit dem Fischen von Karpfen. Alles scheint in geordneten Bahnen zu laufen, wäre da nicht die Frage des Nachwuchses. Als Frau wird von Agnes erwartet, dass sie bald schwanger wird und so zum Unterhalt der Familie beiträgt. Doch Wolf zeigt nur wenig Interesse an seiner neuen Frau und schon bald fangen die Leute an, hinter ihrem Rücken zu reden.
Abgründige Win-Win-Situation
Geplagt von dem Erwartungsdruck, ihrem Unvermögen, diesem gerecht zu werden, und dem entfremdeten Verhältnis zu ihrem Ehemann, verfällt Agnes in eine schwere psychische Krise. Ihre einzige Hoffnung: der Glaube. Manisch betet sie in jeder freien Minute zu Maria und Gott – doch vergeblich. Es wird schlimmer. Handlungsunfähig verlässt sie das Bett kaum, wäscht sich nicht mehr und vernachlässigt die Hausarbeit. Eine Todessehnsucht und der Wunsch ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen, breitet sich in ihr aus. Als sie jedoch mitbekommt, wie ihr Nachbar verdammt und geschändet wurde, nachdem er sich erhängt hat, rückt sie auch von diesem scheinbar letzten Ausweg ab. Geplagt von Weltmüdigkeit auf der einen Seite und Angst vor der ewigen Verdammnis auf der anderen driftet Agnes ganz in den Wahnsinn ab. Bis sie durch eine enthauptete Kindsmörderin auf die Idee kommt, ebenfalls ein Kind zu töten, sich den Behörden zu stellen und so mit abgenommener Beichte hingerichtet zu werden.
Der Film ist angelehnt an eine wahre Begebenheit: dem Fall von Ewa Lizlfellner. Er ist einer von 400 dokumentierten Fällen im deutschsprachigen Raum in dieser Zeit. Die Taten wurden überwiegend von Frauen begangen. „Die Opfer“, so die Historikerin Kathy Stuart, „waren meist Kinder, da man davon ausging, dass diese sich noch in einem Zustand der Unschuld befinden. Man könnte dem Kind damit womöglich sogar einen Gefallen tun, weil es noch sündenlos in den Himmel kommt. Und man selbst kommt auch in den Himmel. Es ist also eine Art von abgründiger Win-Win-Situation.“
Der Grund für diese schrecklichen Taten ist vielschichtig. Der offensichtlichste ist ein lebensmüder Gemütszustand, wie die historische Figur Ewa Lizfeld vor ihrem Tod dem Richter auf seine Frage, warum sie den Mord begangen habe, erklärt: „Und weil ich vor Verdruss recht müd war dises Lebens, seht, was der Satan kann, es war auch nicht vergebens, was ich mit Weh und Ach an Jetzto stets bereue, so kam mir in den Sinn, begehe einen Mord. Ich folgte ihm so gleich und thate also fort, mit Bitte, dass mir Gott die große Sünde verzeyhe.“ Heute würden wir diesen Gemütszustand als Depression bezeichnen. Zur Zeit des historischen Falls allerdings gab es diese Diagnose noch nicht, weswegen eine Übertragung anachronistisch und unzutreffend wäre. Auch wenn die Symptome aus heutiger Sicht identisch erscheinen, bedeutete es sowohl für die Frauen in ihrem Selbstverständnis als auch für die Gesellschaft etwas vollkommen anderes. Damit einher ging auch ein grundlegend anderer gesellschaftlicher Umgang. Die Betroffenen wurden als verflucht betrachtet. Man sprach davon, dass sie im „Bad des Teufels“ gefangen seien – daher auch der Titel des Films.
Religion als Tortur und Heilung?
Das psychische Leiden erweist sich zugleich aber auch als Ausdruck eines tiefgründigeren, auch heute noch hoch aktuellen Phänomens. Denn wesentliche Ursache für Agnes Leiden ist der Umstand, dass sie den gesellschaftlichen Erwartungen nicht gerecht werden kann. Ihre Kinderlosigkeit drängt sie nicht nur in ein soziales Abseits, sondern führt auch zu Selbstschuldzuweisung. Ein quälend schlechtes Gewissen ist die Folge. Wie Friedrich Nietzsche in seiner zweiten Abhandlung aus Zur Genealogie der Moral offengelegt hat, nehmen bei der Entstehung des schlechten Gewissens der Glaube auf individueller und die Institution der Kirche auf gesellschaftlicher Ebene Schlüsselrollen ein. Wie der Film eindrücklich zeigt, wird die Schuld gegen Gott – wie Nietzsche sagt – „zum Folterwerkzeug“, bei dem sich die gesellschaftlichen Erwartungen nach quälend innen kehren an und dem Agnes letztlich zu Grunde geht. Dass Agnes in ihrem Leid ausgerechnet im Glauben und im Gebet, also in eben jenen Strukturen Erlösung sucht, die wesentlich für ihr Leid verantwortlich sind, mag verstörend sein, widersprüchlich ist es nicht. Es ist eben diese Dialektik, die Nietzsche als das Grundphänomen der modernen westlichen Gesellschaft aufgedeckt hat.
So grausam und erschütternd das Thema, so dunkel, kalt und ekelerregend ist auch die Ästhetik des Films. In vielen Teilen erinnert er an einen Horrorfilm: Man sieht abgeschlagene Köpfe, ausgeweidete Tiere, Blutegel, offene Wunden und verwesende Körper. Das Setting ist naturalistisch gehalten und spiegelt die tristen Lebensverhältnisse der Landbevölkerung der Zeit in all ihrer aus unserer heutigen Sicht schmutzigen und rohen Einfachheit wohl nur zu gut wider. All das macht auf die Zuschauer einen starken Eindruck: Man wird direkt affiziert von dem Elend der Personen und empfindet ein abstoßendes Gefühl des Ekels. Dies ist nichts für schwache Nerven, aber gerade in dieser Verschmelzung von Form und Inhalt besteht die künstlerische Brillanz und das ganze kritische Potenzial des Films. •