Ein Tag im Jahr 2103
Die Welt in 80 Jahren: Nach dem großen Zusammenbruch ist die Zeit des Wachstums vorbei, die Globalisierung an ein Ende gekommen. Wie müssen wir uns das Leben unter den Bedingungen des Postwachstums vorstellen? Hier der fiktive Tagebucheintrag eines Vaters.
13. Februar 2103
08:30
Auf der Gemeindeobstwiese am Rande des Dorfes blühen schon die Apfelbäume. Während meines Morgenspaziergangs lege ich mich kurzerhand unter einen Baum. Die Kinder sind bei der Projektbetreuung im Lernort und meine Pflegebegleitung steht erst am Nachmittag an. Der Morgen erstreckt sich endlos vor mir. Unvorstellbar wie die Menschen jemals mehr als 15 Stunden in der Woche lohnarbeiten konnten. Diese merkwürdig antiquierte Vorstellung, dass der Tag etwas ist, das man produktiv füllen muss. Den man entweder „nutzen“ oder „verschwenden“ kann. Etwas dazwischen gab es nicht. Stattdessen schaue ich der Zeit beim Vergehen zu: wie der Schatten des Stammes langsam durch mich hindurchwandert.
Die Sonne ist für diese Zeit des Jahres erstaunlich stark. Zum Glück hat es im Winter genug geregnet. Im letzten Jahr ist die Hälfte der Maisernte aufgrund der großen Dürre im Frühjahr ausgefallen. Da wurden dann natürlich die Stimmen laut, die Abwendung der Klimakrise und das erfolgreiche Aufhalten der Erderwärmung bei 1,7 Grad seien nur eine Lüge gewesen und ein Vorwand, um die Industrie zu ruinieren. Dass sich das Klima nach jahrhundertelanger Übernutzung der Ressourcen und des klimaschädlichen Wirtschaftens nur langsam erholt, geht nur schwer in die Köpfe der Menschen. Natürlich haben wir immer noch mit den Folgen zu kämpfen. Nur darüber, dass der Frühling schon im Februar beginnt, freuen sich die meisten. Auch ich, das muss ich zugeben.
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Gibt es einen guten Tod?
Es ist stockdunkel und absolut still. Ich liege auf dem Rücken, meine gefalteten Hände ruhen auf meinem Bauch. Wie zum Beweis, dass ich noch lebe, bewege ich den kleinen Finger, hebe ein Knie, zwinkere mit den Augen. Und doch werde ich, daran besteht nicht der geringste Zweifel, eines Tages sterben und wahrscheinlich genauso, wie ich jetzt daliege, in einem Sarg ruhen … So oder so ähnlich war das damals, als ich ungefähr zehn Jahre alt war und mir vor dem Einschlafen mit einem Kribbeln in der Magengegend vorzustellen versuchte, tot zu sein. Heute, drei Jahrzehnte später, ist der Gedanke an das Ende für mich weitaus dringlicher. Ich bin 40 Jahre alt, ungefähr die Hälfte meines Lebens ist vorbei. In diesem Jahr starben zwei Menschen aus meinem nahen Umfeld, die kaum älter waren als ich. Wie aber soll ich mit dem Faktum der Endlichkeit umgehen? Wie existieren, wenn alles auf den Tod hinausläuft und wir nicht wissen können, wann er uns ereilt? Ist eine Versöhnung mit dem unausweichlichen Ende überhaupt möglich – und wenn ja, auf welche Weise?

Das Ideal der Intensität
Man kennt es aus Filmen und Romanen: Die Frage nach dem Lohn des Lebens stellt sich typischerweise erst im Rückblick. Als Abrechnung mit sich selbst und der Welt. Wenn das Dasein noch mal vor dem inneren Auge vorbeifliegt, wird biografisch Bilanz gezogen: Hat es sich gelohnt? War es das wert? Würde man alles wieder so machen? Dabei läge es viel näher, die Frage, wofür es sich zu leben lohnt, nicht so lange aufzuschieben, bis es zu spät ist, sondern sie zum Gradmesser von Gegenwart und Zukunft zu machen. Zum einen, weil sie so gegen spätere Reuegefühle imprägniert. Wer sich darüber im Klaren ist, was das Leben wirklich lebenswert macht, wird gegenüber dem melancholischen Konjunktiv des „Hätte ich mal …“ zumindest ein wenig wetterfest. Zum anderen ist die Frage als solche viel dringlicher geworden: In dem Maße, wie traditionelle Bindungssysteme an Einfluss verloren haben, also etwa die Bedeutung von Religion, Nation und Familie geschwunden ist, hat sich der persönliche Sinndruck enorm erhöht. Wofür lohnt es sich, morgens aufzustehen, ja, die Mühen des Lebens überhaupt auf sich zu nehmen? Was genau ist es, das einem auch in schwierigen Zeiten Halt verleiht? Und am Ende wirklich zählt – gezählt haben wird?
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Globalisierung verbindet man meist mit offenen Grenzen. Im Interview erklärt der Soziologe Steffen Mau, warum das jedoch nur die halbe Wahrheit ist, wir in einer Art weltweiten Feudalgesellschaft leben und die Grenze der Zukunft uns schon kennt, bevor wir ankommen.

Wie schaffen wir das?
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