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Bild: Ikon Images (Unsplash)

Impuls

Kleine Philosophie der Reparatur

Johan Wientgen veröffentlicht am 23 Januar 2023 4 min

Nicht die großen Schöpfungsmomente sorgen für den reibungslosen Ablauf unseres Lebens, sondern die kleinen Akte des Kümmerns, Pflegens und Bewahrens. Dabei birgt das Reparieren als Kulturtechnik auch politisches Potenzial.

 

Im kleinen iranischen Dorf Nashtifan, etwa 50 Kilometer von der afghanischen Grenze entfernt, lebt Ali Muhammed Etebari. Er ist der letzte in einer tausendjährigen Reihe von Menschen, die sich um die Windmühlen im Dorf kümmern, die zur Zeit des Persischen Reichs erbaut wurden. Seit Generationen laufen sie kontinuierlich und mahlen Korn zu Mehl. Würde er morgen damit aufhören, so drehten sich die Windmühlen bestimmt noch ein paar Tage oder sogar Wochen weiter. Doch eines Tages würde etwas kaputt gehen, ein Stück Gehölz die vertikal aufgestellten Rotoren blockieren oder jemand könnte kommen und sie zerstören. Die Windmühlen laufen seit eintausend Jahren, und zwar nur, weil Etebari und seine Vorgänger sich um sie kümmerten. Etebari hat eine der ältesten Aufgaben der Menschheit: das Reparieren.

Dinge zu reparieren und nicht wegzuschmeißen ist seit Beginn der menschlichen Geschichte eine alltägliche Lebensrealität. Ob Schuh, Werkzeug oder Windmühle: Es war schlicht nicht möglich, sich eines für den Alltag wichtigen Objektes einfach zu entledigen und ein neues zu kaufen, sobald es kaputtging. Heutzutage ist diese bescheidene Pragmatik einer extremen Dekadenz im Umgang mit alltäglichen Objekten gewichen. Eine mesopotamische Bäuerin oder ein Fürst im mittelalterlichen Europa wären nicht einmal auf die Idee gekommen, ein erst kürzlich hergestelltes und voll funktionsfähiges Trinkgefäß zu zerstören, nur weil es leer ist. Für uns hingegen ist der regelmäßige Gang zum Altglascontainer eine unhinterfragte Gegebenheit.

Das hat auch mit unserem anthropologischen Selbstverständnis zu tun. Denn diesem folgend ist der Mensch in erster Linie ein produzierendes Wesen. Hierbei handelt es sich letztlich um eine Denkfigur theologischen Ursprungs: Gott, der Erschaffer schlechthin, schuf den Menschen und das Universum in einem Akt der „creatio ex nihilo“, einer Schöpfung aus dem Nichts heraus. Wir Menschen sind also – ganz ihm nachempfunden – selbst kleine Produzenten. Dieses religiöse Verständnis vom Menschen als dem produzierenden Wesen hat sich, trotz der vorangehenden Säkularisierung, in der Anthropologie fortgeschrieben: von John Locke über Karl Marx, und schließlich in unsere spätkapitalistische Gesellschaft hinein. Das meist männlich konnotierte Produzieren ist so (anders als das weiblich aufgeladene Intakthalten und Reparieren der einmal geschaffenen Objekte) für unsere westliche Identität konstitutiv.

 

Hand ans System anlegen

 

Doch obwohl die Produktion das dominante Paradigma unserer modernen Gesellschaft ist, wird diese, wie der Anthropologe David Graeber in seinem Buch Bullshit Jobs beschreibt, eigentlich vom unsichtbaren und meist übersehenen Reparieren zusammengehalten. Nicht die großen Schöpfungsmomente sorgen für den reibungslosen Ablauf unseres Lebens, sondern die kleinen Akte des Kümmerns, Pflegens und Bewahrens. Nicht die Erbauer der Windmühlen von Nashtifan sind dafür verantwortlich, dass diese sich heute noch drehen, sondern Menschen wie Ali Muhammed Etebari. Reparieren ist so meist eine Tätigkeit der unbekannten und vergessenen Individuen.

Auch deshalb zeigt sich überall dort, wo Systeme zusammenbrechen, an den Rändern und Zwischenräumen der Zivilisation, die Kraft des Improvisierens und die Langsichtigkeit der Reparatur. Denn das Reparieren eröffnet dem einzelnen Individuum eine konkrete Handlungsfähigkeit gegenüber dem System. Ich kann einen wirklichen Unterschied in der Welt, die mich umgibt, bewirken, nicht dadurch, dass ich ein neues Produkt kaufe, sondern indem ich einen alten und geschundenen Gegenstand mit meinen eigenen Händen wieder zum Leben erwecke. Dieses direkte und konkrete Verhältnis von mir als Subjekt zur mich umgebenden Welt aus Objekten zu realisieren, hat auf einer ganz persönlichen Ebene etwas Befriedigendes und Beruhigendes. Nicht verwunderlich also, dass das Reparieren auch als zelebrierte Kulturform seinen Einzug in die menschliche Lebenswelt gefunden hat. Von der japanischen Reparaturtechnik Kintsugi, bei der die behobenen Makel nicht verdeckt, sondern hervorgehoben werden, bis zum westlichen Trend des „Upcycling“ bildet das bewusste und als solches gefeierte Reparieren einen wichtigen Pfeiler vieler Traditionen.

 

Die Spaltung kitten?

 

Doch wer die Reparatur lobt, läuft leicht Gefahr, kulturpessimistisch zu klingen: Wie man eine Lederjacke einfettet und so über Jahrzehnte geschmeidig hält, wisse mittlerweile niemand mehr, die Generation von heute werfe den Schuh nun halt weg, wenn der Reißverschluss sich verhakt hat, und früher sei sowieso alles besser gewesen. Das ergibt zunächst Sinn, denn in der Reparatur versteckt sich auch ein normativ aufgeladener Essentialismus: So wie es einst war, soll es auch wieder werden. Das ist ein ur-konservatives Moment. Kein Wunder also, dass die Großmeister der Reparatur, die Konservatoren und Restauratoren von Kunstwerken, ihren Namen mit politischen Bewegungen teilen.

Auf der anderen Seite jedoch ist die Forderung nach der Bewahrung – und dies mag zunächst paradox klingen – in der heutigen politischen Landschaft längst nicht mehr die der Konservativen. Die große reparierende und bewahrende politische Bewegung unserer Zeit ist die Klimabewegung, deren zentrale Forderung der Erhalt unserer Lebensgrundlagen ist. Denn eine Verbesserung unserer klimatischen Situation, das aktive Schaffen besserer Umstände ist längst kein realistisches Ziel mehr, sondern schlicht das Erhalten des ökologischen Status quo, das Bewahren des jetzigen Stands der Erwärmung.

Wirklich erhalten – ob unsere ökologische Existenz oder die alte Lederjacke – kann man jedoch nur, wenn man einschreitet. Die Klimabewegung hat so eine der Grundwahrheiten des menschlichen Verhältnisses zu unserer materiellen Umgebung erkannt: Das Bewahren ist, wie das Reparieren, eine aktive Handlung. Die Reparatur könnte ein versöhnendes Element im Kulturkampf zwischen Konservativen und Progressiven bilden, ein starkes Gegennarrativ wider die Logik des Neuer und Besser. Denn hier trifft das Bewahren des Alten, die Rückbesinnung auf Tradition und Handwerkskunst auf Kritik am ökonomischen Verwertungssystem und verantwortungsvollen Ressourcenumgang. •

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Kommentare

A. Schmidt | Montag, 23. Januar 2023 - 15:29

Ich schätze altes wird oft besser mit neuem und neues wird oft besser mit altem, neue Liebe wird oft besser mit Wissen von alter Liebe und alte Liebe wird oft besser mit Wissen von neuer Liebe.

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