Christoph Türcke: „Linderung und Besänftigung gehören zur Urgeschichte der Musik“
Was ist Musik? Ein „vorverbales Gebet“, meint der Philosoph Christoph Türcke. Sie habe ihren Ursprung im grauenvollen Menschenopfer und ziele auf den Abbau von Spannung. Auf diesen Ursprung bleibt sie bezogen und kann uns gerade deshalb tief berühren.
Ein fast gesungenes „Willkommen“ erklingt aus der Gegensprechanlage. Kurz darauf führt Christoph Türcke mich, zwei Treppenstufen auf einmal nehmend, in den obersten Stock der Villa im Leipziger Süden, in der er wohnt. Hier sprechen wir über sein Buch Philosophie der Musik: ein 500 Seiten starkes Werk über Wesen, Ursprung und Entwicklung der Musik. Türcke selbst wollte als Jugendlicher Geiger werden, bis eine Überdehnung der linken Hand das unmöglich machte. Die Musik ist ein Herzensthema geblieben.
Herr Türcke, Musik kann, so schreiben Sie, das Kontinuum der Zeit unterbrechen und ein Gefühl des „Hier-Jetzt“ erzeugen. Wann hatten Sie zuletzt ein echt ergreifendes Hörerlebnis?
Am 27. Januar in der Berliner Philharmonie. Dort wurde zum 80. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung Aus Geigen Stimmen uraufgeführt: ein Stück meines Bruders Berthold Tuercke – für einen Chor und 55 Streichinstrumente, die entweder selbst oder deren Spieler durch die Konzentrationslager gegangen sind. Der Chor akzentuierte telegrammartig das Schicksal der Instrumente und das Schicksal derer, die sie gespielt hatten. Das ging unter die Haut. Da war wirklich für eine Dreiviertelstunde Jetztzeit, auch in dem Sinn zu wissen: Jetzt erklingen noch einmal diese Instrumente, die das überlebt haben.
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo