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Bild: Franks Valli (Wikipedia)

Nachruf

Weltverändernde Sprechakte

Millay Hyatt veröffentlicht am 02 Oktober 2025 3 min

Der Philosoph John Searle ist im Alter von 93 Jahren verstorben. Seine Arbeiten zur Sprechakttheorie und zur menschlichen Intelligenz prägen die Philosophie maßgeblich – bis heute.

Wenn wir sprechen, beschreiben wir nicht bloß die Welt, wir bearbeiten sie. Unsere Aussagen bringen neue Verhältnisse hervor, verändern bestehende: Wenn wir einen Befehl äußern oder einen Wunsch, wenn wir einer anderen Aussage zustimmen oder sie bestreiten, wenn wir jemandem  sagen, dass wir den Rest unseres Lebens mit ihm verbringen möchten oder ihn nie wieder sehen wollen, verändern wir die Welt. Aufmerksam auf diese pragmatische, interventionistische Funktion der Sprache wurde der britische Philosoph J. L. Austin, dessen Schüler John Searle seine ersten Reflexionen dazu aufgriff und systematisierte - und damit zum prominentesten Vertreter der Sprechakttheorie wurde. John Searle ist im September im Alter von 93 Jahren verstorben.

 

Wegbereiter von Sprachphilosophie und Kognitionswissenschaft

 

Die Sprechakttheorie stellt den Handlungscharakter der Sprache in den Vordergrund, die sich, für Searle, immer vor einem Hintergrund von Vorwissen und Regeln abspielt, ohne die eine Verständigung nicht möglich wäre. So verstehen wir, in seinem Beispiel, dass das Wort „schneiden‟ je nach Kontext mit einer Mähmaschine über einen Rasen fahren, ein Kuchen in einzelne Stücke zerlegen oder auch die Länge einer Frisur stutzen bedeuten kann. Eine wesentliche Rolle spielt hierbei die Intentionalität, was also die Sprecherin meint, was sie kommunizieren will. Wenn die Angesprochenen ihre Sprechakte aufnehmen, schreiben sie der Sprecherin eine Absicht zu, gehen davon aus, dass es ihr um etwas geht, wenn sie spricht. Nur durch diese Annahme seitens der Angesprochenen und durch diese Orientierung auf Weltveränderung seitens der Sprecherin entsteht Bedeutung. Dies spielt sich für Searle nicht nur auf der interpersonellen, sondern auch auf der gesellschaftlichen Ebene ab, wo kollektive oder institutionelle Intentionen unser kommunikatives Miteinander ermöglichen und gestalten.

Lange vor der flächendeckenden Anwendung der sogenannten Künstlichen Intelligenz, die wir jetzt erleben, hat Searle darüber nachgedacht, ob Maschinen Sprechakte hervorbringen oder verstehen können. Er spielt die Frage in seinem „Chinesisches Zimmer‟-Gedankenexperiment durch: Eine Person, die kein Chinesisch spricht, wird in einem Zimmer isoliert und bekommt ein Buch mit detaillierten Anweisungen dazu, wie chinesische Schriftzeichen zusammengefügt werden können. Dann wird sie mit chinesischem Text versorgt, auf den sie erwidert, indem sie den vorgegebenen Schritten in der Anleitung folgt. Diese Antworten ergeben für Chinesischsprechende Sinn, die Person im Zimmer allerdings versteht ihre eigenen Texte nicht – so also, folgert Searle, auch nicht eine Maschine, die nach dem gleichen Prinzip Inhalte produziert. Egal wie geschickt sie mit Sprachbausteinen hantieren und syntaktische Regeln befolgen können, sind Maschinen nicht mit einem Gegenüber sozial verbunden, wollen also nichts von diesem. Sie hegen keine Absichten, wenn sie Sprache produzieren und verstehen die selbst generierten Sätze nicht. Es wäre also falsch zu sagen, dass sie denken können oder Intelligenz aufweisen. Searles Argument, welches er vor über 40 Jahren zuerst formuliert hat, wird noch heute in der Kognitionswissenschaft und in philosophischen Überlegungen zu KI intensiv debattiert.

 

Weltveränderndes Schweigen

 

Trotz Searles unbestreitbarer Wichtigkeit für die Sprachphilosophie und den hochaktuellen Thesen zur Begründetheit der menschlichen Intelligenz in dessen biologischer Verfassung, trotz seines Einflusses auf philosophische Größen wie Michel Foucault oder Jürgen Habermas, trotz der Tatsache, dass er über 50 Jahre an der UC Berkeley lehrte, findet sich kein Nachruf auf der Website der Universität. Das John Searle Center for Social Ontology gibt es nicht mehr. Searle wurde 2019 sein Status als emeritierter Professor entzogen, nachdem es zu einem Gerichtsverfahren wegen sexueller Belästigung einer ehemaligen Studentin, die für ihn arbeitete, gekommen ist. Searle bestritt die Anschuldigungen, die auch von anderen Frauen vorgebracht wurden, der Universitätsleitung wurde Vertuschung vorgeworfen. Das Schweigen, würde Searle bestimmt zustimmen, ist auch ein Sprechakt, der die Welt verändert.•

 

Millay Hyatt, in Dallas/Texas, USA geboren, ist promovierte Philosophin und Buchautorin. Ihr jüngstes Buch, der Reise-Essay „Nachtzugtage“, erschien 2024 bei der Friedenauer Presse/ Matthes & Seitz. In ihrer Kolumne „Existenzfrage“ beschäftigt sie sich mit Herausforderungen des Alltagslebens. 

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