Der „georgische Sokrates“: Merab Mamardaschwili
Der georgische Philosoph Merab Mamardaschwili, der am 25. November vor 32 Jahren verstorben ist, war einer der einflussreichsten Intellektuellen der Sowjetunion. Unermüdlich stritt er für die Freiheit in einer Umgebung, die diese mit allen Mitteln zu unterdrücken versuchte. In unserer Rubrik „Klassiker weltweit“ stellen wir Ihnen den Denker vor.
Was es bedeutet, als Philosoph in einem System zu leben, das freie Meinungsäußerung massiv einschränkt, lässt sich eindrücklich an dem 1930 in Georgien geborenen Merab Mamardaschwili nachvollziehen. Zentral verhandelte er die Frage, wie eine reflektierte Existenz unter der repressiven Herrschaft der Sowjetunion zu führen sei. An Philosophen wie Kant und Descartes geschult, arbeitete er sich am Begriff der Freiheit ab. Diese gelte es, durch eine „Übung des Denkmuskels“, immer wieder aufs Neue herzustellen. Bleibt diese Anstrengung aus, rutschen Individuum wie Gesellschaft in existenzielles Chaos und politische Formlosigkeit ab.
Wo Sokrates durch seine mäeutische Fragetechnik (Hebammenkunst) seinen Gesprächspartner zur Geburt neuer Erkenntnisse verhalf, betrachtete es Mamardaschwili als seine Aufgabe, andere Menschen zum Denken „anzustiften“ und ihnen so zu einer reflektierten, freieren Existenz zu verhelfen, was ihm den Namen „georgischer Sokrates“ einbrachte. Gegen Ende seines Lebens widmete er sich zunehmend dem mündlichen Vortrag vor Publikum, um das wiederherzustellen, was die Sowjetunion seiner Meinung nach nahezu gänzlich „zermahlen“ hatte: Orte der Begegnung und des Austauschs im Sinne einer Agora. Auch wenn Mamardaschwili dem georgischen Nationalismus zugeneigt war: Durch seine Aussage, dass die Wahrheit höher als die Heimat stünde, wurde der Philosoph zum Ziel einer Hetzkampagne von Nationalisten. Späte Ehrung erfuhr er elf Jahre nach seinem Tod durch ein Denkmal in der Hauptstadt Tiflis. •
Zum Weiterlesen Merab Mamardaschwili: Die Metaphysik Antonin Artauds (Matthes & Seitz, 2018)
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