Gretel Adorno, die Hebamme der Kritischen Theorie
Erst langsam kommt Gretel Adorno die Aufmerksamkeit zu, die sie verdient. Denn die promovierte Chemikerin und Unternehmerin war die heimliche Kraft hinter ihrem Ehemann, Horkheimer sowie Benjamin und prägte die Kritische Theorie maßgeblich. Millay Hyatt erinnert an die zu Unrecht vergessene Denkerin.
Margarete Karplus, geboren 1902 in Berlin, schloss im Alter von 23 Jahren ihre Promotion in Chemie ab, fünf Jahre später übernahm sie das Familienunternehmen, eine Lederwaren-Manufaktur, später führte sie eine andere Firma mit über 200 Mitarbeitenden. Dass sich eine Frau in diesen Männerdomänen – Naturwissenschaften, Unternehmertum – behaupten konnte, war zu dieser Zeit eine Seltenheit. Darüber hinaus war Karplus Intellektuelle und sollte sich auch auf dem ebenso männlich dominierten Gebiet der Philosophie behaupten. Allerdings im Hintergrund und in erster Linie als Unterstützung für profilierte Männer: allen voran für ihren Ehemann Theodor W. Adorno, aber auch für Walter Benjamin und Max Horkheimer. Die Dialektik der Aufklärung, das als Werk Horkheimers und Adornos gilt, wäre ohne Karplus’ Mitwirken ein anderes Buch geworden, wenn es überhaupt geworden wäre: Sie nahm als Mitdenkerin an den Gesprächen zwischen den beiden Philosophen teil, protokollierte sie und redigierte sie.
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Die Linkswende der Kritischen Theorie
Führende Köpfe der Kritischen Theorie rufen im Rahmen der Initiative Wissenschaft wählt Die Linke! zu einem entsprechenden Votum auf. Das ist erstaunlich, bedenkt man Adornos und Horkheimers Skepsis gegenüber solchen Parteinahmen.

Der fehlende Teil. Karl Heinz Haag zum Geburtstag
Karl Heinz Haag, der heute 98 Jahre alt geworden wäre, galt einmal als philosophischer Nachfolger Horkheimers und Adornos. Doch dann verschwand er von der Bildfläche. Seine Schriften greifen einen metaphysischen Strang der Kritischen Theorie auf, der heute vergessen, aber vielleicht aktueller denn je ist.

Philipp Felsch: „Die Kritische Theorie funktionierte als BRD noir“
Nach ihrer Rückkehr aus dem US-Exil avancierten Horkheimer und Adorno zu intellektuellen Stars der Bundesrepublik. Kulturhistoriker Philipp Felsch erklärt, warum die Kritische Theorie durch ihre Zeit in LA einen Erfahrungsvorsprung besaß, alsbald einen Habitus der universellen Betroffenheit entwickelte und sich die Studenten schließlich von ihr abwandten.

Eher orientierungslos als links – wohin driftet die kritische Theorie?
Die kritische Theorie war politisch nie einheitlich: Einst marxistisch engagiert, lehnten Adorno und Horkheimer später blinden Aktivismus ab. Frederik R. Heinz deutet den Wahlaufruf heutiger Vertreter, anders als unser Redakteur Moritz Rudolph, nicht als Linkswende, sondern als Zeichen von Orientierungslosigkeit. Eine Replik.

Jürgen Habermas: „Es gibt keine unbeweglichen Identitäten“
Wir gratulieren Jürgen Habermas zum 95. Geburtstag. Im Interview aus der Sonderausgabe Kritische Theorie erinnert sich der Philosoph an Theodor W. Adorno – und spricht über die großen Themen unserer Zeit: Rechtsruck, Identitätspolitik und die Zukunft Europas.

Erich Fromm (1900–1980)
Erich Fromm ist nicht zuletzt maßgeblich für die Synthese marxistischer Theorie und freudscher Psychoanalyse in der Kritischen Theorie verantwortlich. Seine populärwissenschaftlichen Werke, die er in den Jahren nach dem Bruch mit dem Institut für Sozialforschung verfasst, avancieren zu Bestsellern für eine begeisterte Leserschaft

Adornos und Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“
Aufklärung und Mythos sind in gewisser Weise das Gleiche, behaupten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung (1944), dem Hauptwerk der Kritischen Theorie. Klingt widersinnig? Wir helfen weiter.

Axel Honneth: „Arbeit und Demokratie sind Gegenwelten“
Arbeit steht heute wie in den Anfängen der Kritischen Theorie im Zentrum der Kritik. Während Adorno und Horkheimer von Verdinglichung und Entfremdung sprachen, sucht der Philosoph Axel Honneth nach neuen Begrifflichkeiten: Die Arbeitswelt sollte in einer Form strukturiert sein, die Demokratie und Mitsprache befördert und ihnen nicht entgegensteht
