Von Marcuse lernen
Schließen sich Verzicht und Lustgewinn gegenseitig aus? Keineswegs, argumentierte Herbert Marcuse. Unter den richtigen Vorzeichen gehen sie sogar miteinander einher.
Das neue Jahr gibt Anlass, Konsumgewohnheiten zu überdenken. Überquellende Keller und Kleiderschränke legen die Vermutung nah, dass im Kapitalismus die wahre Kunst nicht im Anschaffen, sondern im Widerstehen von Kaufreizen liegen könnte. Doch bringt unsere Zeit auch überindividuelle Gründe mit sich, eigene Bedürfnisse zu hinterfragen. Insbesondere angesichts des Klimawandels und seiner für die Menschheit schwerwiegenden Folgen ist klar: So, wie wir leben, kann es nicht weitergehen. Wir müssen etwas ändern. Doch wie? Neben der Politik sehen viele die Verantwortung in den Lebensgewohnheiten der einzelnen Person. Wir müssen lernen zu verzichten. Wie schwer das jedoch ist, haben weite Teile der Gesellschaft im vergangenen Jahr erfahren müssen. Von der Inflation gezwungen, musste man sich zweimal überlegen, welchen Euro man ausgibt. Verzicht bedeutet, sich die grundlegende Frage zu stellen: Was brauche ich wirklich?
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Kommentare
Nahezu jede Verzichtsdiskussion leidet darunter, dass mit Verzicht nur Konsumverzicht gemeint wird. Tragisch daran ist, dass selbst Kritik am Konsum wie Werbung dafür wirkt, weil sich die Leute bei Forderungen nach Verzicht umso mehr daran klammern. Zugleich wird suggeriert, dass es beim Verzicht nur um Ja oder Nein geht.
Tatsächlich ist aber jeder Nichtverzicht auch immer ein Verzicht auf etwas anderes. Es ist unmöglich, auf alles nicht zu verzichten. Wer nicht auf Alkohol verzichtet, verzichtet auf Nüchternheit. Wer sich immer nur bedienen lässt, verzichtet auf die Entwicklung eigener Fähigkeiten. Aus der Gesamtsicht: Wenn die Menschheit zu einem Großteil nicht auf ein Leben in Saus und Braus verzichten will oder kann, wird sie auf eine gesunde Umwelt und ein lebensfreundliches Klima verzichten müssen.
Im Gegensatz zum Konsumbereich gibt es in der Arbeitswelt vielerlei Verzicht, der kaum als solcher wahrgenommen wird. Verzicht auf morgendliches Ausgeschlafensein und auf Selbstbestimmung vielerlei Art scheint selbstverständlich zu sein, obwohl es genauso Bedürfnisse sind. Es spricht einiges dafür, dass Konsumbedürfnisse eine Kompensation von solchen unerfüllten Bedürfnissen ist.
Genuss und Lustgewinn müssen nicht im Konsumbereich bleiben, mit einem Wechsel von Verzicht und Nichtverzicht wären sie auch woanders zu entdecken.