Wikileaks als Avantgarde
Immer wieder werden eigentlich geheime Aufnahmen publiziert, um die Öffentlichkeit über Kriegsvorgänge zu informieren. Dabei nutzen US-amerikanische Medien eine Technik, die ihre Regierung lange bekämpfte.
Jüngst veröffentlichte die New York Times Satellitenfotos, die die Behauptungen der russischen Regierung widerlegen, dass das Massaker von Butscha nur eine Inszenierung der Ukrainer gewesen sei, um die russische Armee zu diskreditieren. Auf den Bildern ist zu sehen, dass die Leichen auf den Straßen von Butscha bereits am 19. März dort lagen. Zu diesem Zeitpunkt hatten russische Soldaten die Stadt jedoch bereits besetzt.
Es ist nicht das erste Mal, dass eigentlich als geheim eingestufte Informationen in diesem Krieg an die Öffentlichkeit gelangen: Ende Februar veröffentlichte das US-Außenministerium beispielsweise Fotos, die zeigten, dass sich die russische Armee entlang der gesamten ukrainischen Grenze im Osten in Stellung brachte und das Land systematisch einkesselte. Man könnte meinen, dass die amerikanische Regierung mit dieser neuen Art der Kommunikation in Kriegszeiten, die auf Transparenz und Information setzt, ein Mittel der politischen Aktion für sich in Anspruch nimmt, das ursprünglich und umfangreich von der Enthüllungsplattform Wikileaks genutzt wurde. Ist Julian Assange, der nach langem Kräftemessen mit den USA schließlich zum Schweigen gebracht wurde, paradoxerweise zu einer ihrer wichtigsten Inspirationsquellen auf dem Gebiet der internationalen Politik und im Einsatz von Geheimdiensten geworden?
Gegnerschaft und Inspiration
In der Kunstwelt ist dies eine bekannte Dynamik: Eine avantgardistische Stimme taucht auf, greift das Establishment an, wird von diesem beharrlich bekämpft und zehn Jahre später hat ihr avantgardistischer Ansatz Schule gemacht und ist von den Institutionen vereinnahmt worden. Denn es ist die Avantgarde, aus der neue Energien und Ideen entspringen.
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo
Weitere Artikel
Julian Assange und Peter Singer – wie die Welt retten?
Ab heute wird sich Julian Assange vor dem Obersten Gericht in London gegen seine Auslieferung in die USA wehren. 2012 organisierte das Philosophie Magazin einen Dialog zwischen dem Wikileaks-Gründer und Peter Singer zur Frage: In welchen Fällen ist die Offenlegung geheimer Informationen geboten, in welchen sollte sie bestraft werden?

Émilie du Châtelet: Glück und Gravitation
Sie war eine Physikerin ersten Ranges, publizierte zur Moralphilosophie und beeinflusste Immanuel Kant. Dennoch war sie lange Zeit bloß als Geliebte Voltaires bekannt.

Charlotte Klonk: „Die Art aller Gewaltbilder zeigt deutlich, für wen sie gemacht werden“
Für die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk lassen die Aufnahmen der Hamas Rückschlüsse auf die Frage zu, wen die Terrororganisation als Verbündete und wen sie als Feinde sieht. Sie künden von einem Strategiewechsel.

Funktionale Jonglage
Der Suhrkamp Verlag hat Niklas Luhmanns Schrift Die Grenzen der Verwaltung publiziert. Im Zentrum des Buches steht die vor allem in pandemischen Zeiten hochrelevante Frage: Wie kann die Verwaltung zahlreichen Ansprüchen genügen, ohne sich selbst aufzugeben? Eine Rezension von Marcel Schütz.

Mein Moment - Fünf Techniken
Der gelungene Augenblick hat Zufälliges, Unverfügbares an sich. Und doch ist er auch das Ergebnis gezielten Tätigseins. Fünf Menschen erzählen von ihren Techniken, das Jetzt zu erleben.
Tagebuch der Überforderungen: Empathie für Technik
Es sind die kleinen Dinge, die das Leben so unfassbar anstrengend machen. In seinem Tagebuch der Überforderungen hält Jochen Schmidt das Ringen mit dem Profanen fest. Diesmal: Gefühle für Technik.

Neue Technik
Nicht erst im Kontext digitaler und vernetzter Technologien, so die Herausgeber, steht das Verhältnis von Mensch und Technik zur Disposition.

Der Fluch der Zuchtbanane
Die Selektion galt lange als bevorzugte Technik, um Ertrag und Schönheit zu optimieren. Wie andere Pflanzen auch wurde die Banane dadurch aber genetisch immer homogener – und angreifbarer. Deshalb setzt man in jüngster Zeit erneut auf Diversität und entdeckt jahrtausendealte Zuchttechniken wieder.
