Peter Sloterdijk: „Wer Grau sagt, betritt die Sphäre der Nuance“
Farbe bekennen heißt herausstechen. Das Grau hingegen überzeugt durch Zurücknahme, ohne in Gleichgültigkeit abzugleiten. Im Interview spricht Peter Sloterdijk über Grau als Existenzkunst.
Herr Sloterdijk, welche Farbe hat die Gegenwart?
Ich versuche in meinem Buch Indizien dafür zusammenzutragen, dass Grau die Farbe unserer Tage ist. Dabei spreche ich nicht nur vom Grau der Psychologen, die damit die depressive Eintrübung der Weltwahrnehmung beschreiben. Ich möchte mich dem Phänomen zeitdiagnostisch nähern, ausgehend von Trends und Modewellen. Auffällig ist zum Beispiel, dass der Autohersteller Porsche seit einer Weile Grautöne als die Option der „Entscheider und Alleswoller“ sowie der „Early Adopters“, der „Früh-Anwender“ bewirbt. Wer sich selbst ganz vorne wähnt, wählt Grau, das ist die Botschaft. Er wählt nicht irgendeines, Mercedes hat aktuell 110 Grautöne im Sortiment. Über die Lackierung von Edelkarossen hinaus spricht hier der Zeitgeist zu uns. Er signalisiert einen Willen zur Besonderheit, die mit Unauffälligkeit verträglich ist. Anders gesagt: Grau gewährt Exzellenz ohne das Risiko von Sanktionen. Die Stimmung im Lande ist bei uns ja nach wie vor exzellenzfeindlich, und wer den Kopf höher tragen möchte als andere, verliert ihn früher oder später. Wir arbeiten sehr erfolgreich mit der Horizontal-Guillotine, während die Franzosen beim Köpfen die Fallbeilmethode bevorzugten.
Andere Epochen, andere Farben?
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