Zusammenbruch der Zeichen
Die Kryptowährung Dogecoin begann als Parodie auf den Marktführer Bitcoin. Nicht zuletzt dank Elon Musk entwickelte sich die Satire zum ernstzunehmenden Konkurrenten. Aus der Perspektive des Philosophen Jean Baudrillard birgt das auch eine Gefahr: Es droht ein Kollaps der Zeichen.
Der Begriff „Dogecoin“ kommt Ihnen nicht bekannt vor? Das wird sich nun ändern. Denn diese Kryptowährung, die mittlerweile über eine Marktkapitalisierung von fast 70 Milliarden Dollar verfügt, ist derzeit die weltweit viertgrößte ihrer Art. Ist die Begeisterung für Kryptowährungen an sich zwar kein neues Phänomen, erscheint der Erfolg von Dogecoin dennoch überaus bemerkenswert, weil es sich hierbei ursprünglich um eine Parodie einer anderen Kryptowährung handelt, nämlich dem Marktführer Bitcoin. Befeuert wurde der Hype um Dogecoin lange von Tesla-Gründer Elon Musk – bis dieser sie jüngst bei einem Auftritt bei der Comedy-Show Saturday Night Live halb-ironisch als „Abzocke“ („hustle“) bezeichnete.
Grund genug also, sich diese eigentümliche Kryptowährung einmal genauer anzusehen. Entstanden ist Dogecoin, wie gesagt, als Parodie auf Bitcoin. Das für das Bitcoin-Logo charakteristische „B“ wurde dabei durch ein „D“ ersetzt, kombiniert mit dem Kopf eines Shiba-Inu. Vielen Social-Media-Nutzern ist das Konterfei des Vierbeiners nur allzu bekannt, da es sich um einen Klassiker der humoristischen Meme-Kultur handelt. So besteht also schon in optischer Hinsicht kein Zweifel daran, dass Dogecoin ursprünglich ein großer, buchstäblicher Spaß war.
Imitation wird Simulation
An diesem Punkt entsprach Dogecoin dem, was der Philosoph Jean Baudrillard in seinem 1981 erschienenen Buch Simulacre et Simulation als zweite Stufe der Zeichenordnung beschrieb. Das heißt: Hier wurde vorgegeben, etwas anderes zu sein – aber nicht im Sinne einer bloßen Abbildung oder Spiegelung eines anderen Zeichens, sondern in Form einer Denaturalisierung des Vorbilds. Bei der Dogecoin-Währung wird also gar nicht versucht, das Original zu „verstecken“, sondern vielmehr bezieht es sich ganz offen darauf und verhöhnt es gewissermaßen.
Nachdem Elon Musk in den sozialen Netzwerken dann jedoch seine Vorliebe für Dogecoin kundtat und sich auf einmal Horden von Investoren für die Kryptowährung interessierten, änderte sich die Situation. Aus dem Scherz wurde Realität, Dogecoin wechselte vom Reich der Imitation ins Reich der Simulation. Für Letztere ist indes charakteristisch, dass sich der Unterschied zwischen wahr und falsch, real und imaginär zunehmend auflöst. Dogecoin ist immer mehr zu einer eigenständigen Kryptowährung avanciert, wodurch die einstmals parodistische Differenz zu Bitcoin fortlaufend diffuser wurde.
Implosion der Repräsentation
Diese Verschiebung bleibt jedoch nicht ohne Folgen. Bedenkt man nämlich, dass Bitcoin schon vom Prinzip her keine wirklich „echte“ Währung im Sinne eines gesetzlichen Zahlungsmittels ist, wirkt der Aufstieg von Dogecoin auf den Status von Bitcoin zurück und lässt den Marktführer unter den Kryptowährungen in ein noch „virtuelleres“ Universum kippen. Der Bezug zur Realität wird immer brüchiger. Vor dem Hintergrund der Theorie Baudrillards besteht deshalb die Gefahr, dass der Erfolg von Dogecoin dazu beiträgt, dass es bei Bitcoin zu einer Art Zusammenbruch des Verhältnisses von Wahrheit und Repräsentation kommt. Wenn Parodie und Original im Prinzip keine funktionellen Unterschiede mehr aufweisen, implodiert die Logik der Repräsentation selbst. Oder wie Baudrillard sagt: Das Wirkliche wäre selbst nicht mehr möglich, weil es von der einstigen Kopie bereits völlig durchdrungen ist. Wenn Sie demnächst also in Bitcoin investieren wollen, achten Sie also darauf, ob es nicht bald von seiner einstigen Parodie hinweggefegt wird. •