Depression: Woran kranken unsere Gesellschaften?
Sind Sie eher Prozac oder Paroxetin? Effexor oder Seroplex? Wenn Ihnen diese Namen nichts sagen, gehören Sie zu den wenigen, die vom modernen Übel der Depression verschont sind. Samuel Lacroix fragt nach den Hintergründen dieser psychischen Krankheit und geht mit einem Philosophen auf die Reise, der selbst schwer depressiv war.
Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der Depression. Vor einigen Tagen hatte ich plötzlich den Gedanken, dass wohl mindestens die Hälfte meiner Freunde, wenn nicht sogar mehr, Antidepressiva nehmen. Was mich betrifft, so erfuhr ich aus einem Befund, nachdem ich kürzlich wegen eines kleineren Hautproblems im Krankenhaus war, dass ich womöglich an einer „Angststörung“ leide und dass eine „Konsultation mit einem niedergelassenen Psychiater ratsam wäre.“ Bin ich also der Nächste, der Tabletten nimmt? Und wer ist danach an der Reihe? Es scheint beinahe so, als würden wir ein Stück von Ionesco nachspielen. Nur dass wir, anstatt uns einer nach dem anderen in Nashörner zu verwandeln, depressiv werden.
Eine Epidemie in der Epidemie
Anfang der 2010er Jahre hieß es, dass etwa einer von zehn Franzosen von Depressionen betroffen sei. Während der Covid-Krise war eher die Rede von einem von fünf Franzosen. Die Erkenntnis ist gnadenlos: Wir haben es mit einer Epidemie dieser psychischen Krankheit zu tun. Stimmungstiefs, geringes Selbstwertgefühl, Schlafprobleme, Selbstmordgedanken, Suchtverhalten, Verlust von Gewicht, Lebensfreude und Interessen... Die verschiedenen Symptome nehmen zu und sind bei einer immer größeren Anzahl von Menschen zu beobachten. Aber woher kommen sie? Woran erkrankt unsere Gesellschaft?
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Kommentare
Für die Besserung von Depressionen schätze ich hilfreich, zu versuchen, sich und seine Gruppen wahrscheinlich ausreichend zu befreien, und dann wahrscheinlich Bestes für alle zu versuchen.
Ich danke für den Artikel und die Möglichkeit, zu kommentieren.
Depression hat wohl unendlich viele und zum Teil komplexe Ursachen.
Zwei eher generelle philosophische Medikationen sind vielleicht Befreiung und Sinn.
Dazu kann man versuchen, sich und seine Gruppen wahrscheinlich nur ausreichend zu befreien, und dann wahrscheinlich Bestes für alle zu versuchen.
Im Idealfall wird dann das Leben von jemand und seinen Gruppen besser, bis es wahrscheinlich ausreicht, und danach gut für alle, was komplex Sinn stiften kann.
Ich danke für den Artikel und die Möglichkeit, zu kommentieren.