Die Aussteiger
Erkenntnis und Fortschritt entstehen da, wo Menschen zur Tat schreiten – so die gängige Annahme. Dabei zeigt ein Blick in die Philosophie: Gerade wer auch pausiert, unterlässt und ausschert, gewinnt.
Zhuangzi lässt sich treiben
Alles – vom Regenwurm bis zum Menschen – hat seine eigene, selbstgenügsame Natur, die sich entfalten muss, ungestört von ambitioniertem Handlungsdrang und brennendem Ehrgeiz. In einem der bedeutendsten Texte des Taoismus, dem Zhuangzi, benannt nach seinem Schöpfer (auch Zhuang Zhou, ca. 365 – 290 v. Chr.), findet sich diese zentrale Idee des Wu wei (無為), des „Nicht-Handelns“. Wu wei beschreibt eine grundlegende Haltung zur Welt, die Zhuangzi nicht bloß in seinen Lehren betont, sondern auch im eigenen, zurückgezogenen und naturverbundenen Leben streng verfolgt. Einer berühmten Anekdote zufolge fischt er gerade am Fluss, als ihn das Angebot eines Ministerpostens des Königs Wei von Chu erreicht. Doch Zhuangzi lehnt ab, er zieht das einfache und authentische Dasein dem ruhmreichen und turbulenten vor. Oder in seinen Worten: lieber eine Schildkröte, die lebendig ihren Schwanz im Schlamm schleift, als eine, die regungslos und verehrt in einer Kiste in irgendeinem Tempel liegt.
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