Mein Feind, der Baum
Seit Peter Wohlleben lieben wir Bäume noch mehr als vorher. Als stille Heilige, die unterirdisch tuscheln, kuscheln und milde Gaben spenden. Doch wenn man genau hinschaut, kann man auch ganz andere Exemplare finden.
Würgefeigen kommen überall in den tropischen Wäldern der Welt vor. Sie beginnen ihr Leben als klebriger Samen, der von einem Affen oder Vogel hoch oben im Blätterdach auf einem Ast „abgesetzt“ wird. Ein zartes Pflänzchen sprießt und bildet rankenartige Luftwurzeln, wie man sie von hübschen Orchideen kennt. Doch etwas ist anders an diesen Wurzeln. Langsam winden sie sich den Stamm des besiedelten Baumes hinab oder lassen sich zur Erde fallen wie ein ausgerollter Gartenschlauch. Einmal im Erdreich angekommen, leiten sie eifrig Wasser und Nährstoffe zu dem grünen Pflänzchen in der Höhe hinauf. Eine Zeit lang kann man sie vielleicht immer noch für eine der harmlosen Aufsitzerpflanzen halten, die auf den Ästen der Urwaldriesen hocken wie friedliche Tauben auf einem Sims. Doch bald zeigt die Würgefeige, die in manchen Sprachen schlicht „Baummörder“ genannt wird, ihr wahres Gesicht.
Wie die Arme eines Kraken schlingt sie immer mehr Wurzeln um den Wirtsbaum und erwürgt ihn mit ihrem hölzernen Griff. Oben gedeihen ihre Äste und Blätter, unten ihre Wurzeln, während der umschlungene Stamm abstirbt und zerfällt. Schließlich bleiben nur Korsett und Krone der düsteren Dschungelkönigin, und wo einst ihr Opfer seinen Platz hatte, thront sie nun ganz allein.
Der brave „Ficus benjamina“ ein Mörder?
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