The Bling Ring
Verführerisch glänzend, aber ansonsten unscheinbar und klein: Warum steht gerade der Ring im Zentrum von Tolkiens Epos?
„Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, / Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden“: Die Zeilen stammen aus jenem kurzen Gedicht, das J. R. R. Tolkien dem Herrn der Ringe vorangestellt hat, und sie fassen das zentrale Motiv des Epos so prägnant wie ominös zusammen. Es geht um ein Schmuckstück, das mit enormer dämonischer Energie ausgestattet ist; sein Wirkungsbereich ist räumlich und zeitlich unbegrenzt; es ist kein tumber, unbeseelter Gegenstand, sondern zu intentionalem Handeln fähig; und sein Ziel ist nichts weniger als die Unterwerfung der gesamten belebten Welt unter eine finstere Gewalt. Aber: Woher rührt diese mysteriöse Macht? Und warum ist sie ausgerechnet in einem Ring angesiedelt?
Die erste Frage ist, zumindest innerhalb der Mytho-Logik des Tolkienversums, vergleichsweise einfach zu beantworten: Es gab in Mittelerde ursprünglich 20 Ringe der Macht – das fragliche Schmuckstück, der „Meister-Ring, der Eine, der alle beherrscht“, wurde aber vom Dunklen Herrscher Sauron persönlich in den Flammen des Orodruin, des Feurigen Berges in Mordor, geschmiedet. Im Zuge der Manufaktur ließ Sauron einen erheblichen Teil seiner eigenen Macht auf den Ring übergehen: Es handelt sich also um eine transhumane Metempsychose, eine Seelenwanderung zwischen Wesen und Dingwelt – eine Strategie, die auch schon Saurons mythischer Vetter im Geiste, der böse Zwerg Alberich in Richard Wagners Ring des Nibelungen, anwandte, als er der Liebe abschwor und seinerseits einen Ring der Macht erschuf. Da der tolkiensche Meister-Ring einen Teil der Psyche seines Erschaffers beherbergt, strebt er zu diesem zurück, will zu Sauron wie ein Hund zu seinem Herrn. Wird er allerdings zerstört, muss auch sein Schmied zugrunde gehen.
Größter MacGuffin aller Zeiten?
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo
Weitere Artikel
Was ist Tolkiens Zauber?
Tolkiens Geschichten handeln von Zwergen, sprechenden Bäumen und anderen ungewöhnlichen Kreaturen. Ist das nostalgische Nischenliteratur? Oder führt er eine große Tradition des Erzählens fort? Mit dem Literaturkritiker Denis Scheck und dem Philosophen Josef Früchtl sprachen wir über Mythen, Fantasy und Helden unserer Zeit.

Enrico Spadaro: „Dem technophilen Enthusiasmus setzt Tolkien einen ‚Verzicht‘ entgegen“
Tolkiens Erzählungen sind durchzogen von Nostalgie und Naturliebe. Lässt sich dahinter eine politische Haltung ausmachen? Wie sah Tolkien die Gesellschaft seiner Zeit? Ein Gespräch mit Enrico Spadaro über Maschinen, Natur und Anarchismus.

Irène Fernandez: „Prüfungen erlauben uns, ein höheres Sein zu erlangen“
Tolkiens Werk zeichnet eine Theorie der Verantwortung und des Muts. Jede Figur, erklärt die Philosophin Irène Fernandez, steht vor aufopferungsvollen Entscheidungen, die Verzicht fordern und Schmerz verursachen.

Isabelle Pantin: „Ohne Imagination ist der Mensch amputiert“
Zeugt Tolkiens Fantasiewelt von Wirklichkeitsverleugnung und Vernunftschwäche? Nein, meint die Literaturwissenschaftlerin Isabelle Pantin. Mittelerde folgt einer eigenen Logik und verbindet uns mit unseren archaischen Wurzeln.

Jens Balzer: „Erst in der Rezeption kommt das Werk zu sich“
Aus Tolkiens Erzählungen haben spätere Generationen oft etwas ganz Eigenes gemacht. Ein Gespräch mit Jens Balzer über Hippies, die Hobbits lieben, Black-Metal-Bands, die nach Mordor wollen, und postkoloniale Diskurse.

Michaël Devaux: „Gutes zu wollen, ist die gefährlichste List des Bösen“
Tolkiens Erzählungen handeln vom Kampf gegen dunkle Kräfte und Tyrannen. Doch lässt sich das Böse je besiegen? Welche Macht hat es über uns? Mit Michaël Devaux sprachen wir über das Verhältnis zwischen Gut und Böse und eine nie endende Versuchung.

Kann Sprache die Welt verändern?
Über diese Frage, die im Zentrum der Debatte um politische Korrektheit steht, ringen auch Philosophen seit jeher. Vier streitbare Positionen
Doomscrolling
Wer mit fiebrig glänzenden Augen bis spät in die Nacht Schreckensmeldungen über den Krieg liest, obwohl er bereits von Visionen eines Atomkriegs gequält wird, betreibt Doomscrolling (Untergangsscrollen).
