Der Herr der Ringe.
Tolkien und sein Mythos
Sonderausgabe 22 -
Sommer 2022
Gut möglich, dass Sie bisher noch nie mit Tolkien in Berührung gekommen sind oder nur am Rande vernommen haben, dass es einen Roman namens Der Herr der Ringe gibt. Ich versichere Ihnen, es lohnt sich Tolkien zu entdecken, denn er war ein außergewöhnlicher Schriftsteller und Denker.
John Ronald Reuel, kurz: J. R. R. Tolkien beschäftigte sich als Philologe an der Universität Oxford nicht nur von Berufs wegen mit Wörtern. Er erschuf seine eigenen Sprachen und ersann komplexe, fantastische Geschichten, um sie zum Leben zu erwecken. Zugleich ergründet seine Fiktion grundlegende philosophische Fragen: In welchem Verhältnis stehen Sprache und Welt? Was ist das Böse? Worauf können wir in dunklen Zeiten hoffen? Und wie bewahren wir uns einen Hauch des Zaubers, der in der Moderne verloren scheint?
Unsere neue Sonderausgabe lädt Sie ein, Tolkien und sein Werk zu ergründen. Wie kaum ein anderes zeugt sein Mythos um Mittelerde von der Kraft der Kreativität, vom Erzählen als oberstes Mittel der „Kontingenzbewältigung“. Was könnte heute eine wertvollere Ressource sein? In unsteten Zeiten sind es Erzählungen, die uns befähigen, Sinn zu stiften und uns den großen Fragen zu stellen.
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1. Die Macht der Sprache
Alle Illustrationen: © Emon Toufanian
Am Anfang war das Wort. Für Tolkien ist Sprache nicht nur ein Medium, um unsere Welt zu beschreiben. Sie bringt diese erst hervor, sie ist ihr Gebäude und Gedächtnis. Doch Sprachen bleiben leblos und leer, solange sie nichts erzählen. Und so ersinnt Tolkien die Geschichten um Mittelerde, um seine Kunstsprachen zum Leben zu erwecken.
2. Der Ruf des Magischen
Wer sich nach Mittelerde begibt, überschreitet die Grenzen der herkömmlichen Realität und betritt eine Welt voller magischer Objekte, übernatürlicher und sogar unsterblicher Wesen. Dass heidnische Mythologien gerade den gläubigen Katholiken Tolkien in seiner Kosmologie inspirierten, ist kein Widerspruch. Ihr Zauber ehrt die Schönheit der ersten Schöpfung.
3. Kritik der Moderne
Die Verführungen von Macht und Technik sind für Tolkien eng miteinander verbunden. Maschinen versprechen uns eine ungekannte Verfügungsgewalt über Mensch und Natur. Rücksichtslos eingesetzt, bringen sie grausame Produktionsstätten wie Sarumans Isengard hervor. Tolkien fürchtet diese Kräfte der Moderne und setzt ihnen Liebe zur Natur und Genügsamkeit entgegen.
4. Das Rätsel des Bösen
Für jemanden, der die Schrecken der Schützengräben erlebt hat, ist das Böse keine Abstraktion. Obwohl Tolkien den Ersten Weltkrieg körperlich unversehrt übersteht, bleibt ihm das Grauen im Gedächtnis. So versuchen seine Geschichten auch die Natur des Bösen zu ergründen. Nichts, sagt uns Tolkien, ist seinem Wesen nach schlecht, und doch ist Vorsicht geboten: Im Kampf gegen das Böse gibt es nur flüchtige Siege.
5. Quellen des Guten
Fast jeder Mensch steht einmal an einem Scheideweg, an dem er sich fragen muss: Stelle ich mich Schmerz, Angst und Aufgaben, denen ich kaum gewachsen bin? Tolkiens Erzählungen bestärken uns darin, die Hoffnung zu bewahren – nicht, indem man an einen guten Ausgang glaubt, sondern indem man sich, trotz allem, ein Urvertrauen erhält. Manchmal offenbaren sich dann auch ungeahnte Helden und Heldinnen.
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Alle Texte in der Übersicht
Intro
Herr der Worte
John Ronald Reuel Tolkien erlebt frühen Verlust, tiefe Freundschaft und die blutigste Schlacht des Ersten Weltkriegs, bevor er als Oxford-Professor zur Ruhe kommt. Was sich durch alle Lebensjahre zieht, ist seine Faszination für Wörter, ihren Klang und die Geschichten, die sie erschaffen.

Was ist Tolkiens Zauber?
Tolkiens Geschichten handeln von Zwergen, sprechenden Bäumen und anderen ungewöhnlichen Kreaturen. Ist das nostalgische Nischenliteratur? Oder führt er eine große Tradition des Erzählens fort? Mit dem Literaturkritiker Denis Scheck und dem Philosophen Josef Früchtl sprachen wir über Mythen, Fantasy und Helden unserer Zeit.

Die Macht der Sprache
Verlyn Flieger: „Die Fantasie bringt uns das Staunen zurück“
Tolkien erfand nicht nur Geschichten, sondern auch Sprachen. Was verbindet diese schöpferischen Akte? Und was ist das überhaupt, eine Sprache? Die Literaturwissenschaftlerin Verlyn Flieger meint: Für Tolkien gibt es eine Einheit von Welt und Wort, die er versucht, in seinen Geschichten wiederherzustellen.

Von Mittelerde zum Metaverse
Auch wenn Tolkien sein Werk nie als Allegorie verstanden wissen wollte, zeigt es doch tiefe Verbindungen zur außerliterarischen Welt. So steht der Kosmos von Mittelerde auch für die Suche nach fantastischen Zweitwelten, die Tech-Pioniere bis heute antreibt.

Jens Balzer: „Erst in der Rezeption kommt das Werk zu sich“
Aus Tolkiens Erzählungen haben spätere Generationen oft etwas ganz Eigenes gemacht. Ein Gespräch mit Jens Balzer über Hippies, die Hobbits lieben, Black-Metal-Bands, die nach Mordor wollen, und postkoloniale Diskurse.

Der Ruf des Magischen
Erlebt, ihr Narren!
Wenn sich einmal im Jahr die Pforten der Tolkien Tage öffnen, liegt Mittelerde am Rhein. Unser Autor hat sich auf dem Festival unter die Orks, Hobbits, Elben und Zauberer gemischt und erfahren, welche Faszination die Geschichte um die Gefährten hat, wenn man selbst ein Teil von ihr ist.

Isabelle Pantin: „Ohne Imagination ist der Mensch amputiert“
Zeugt Tolkiens Fantasiewelt von Wirklichkeitsverleugnung und Vernunftschwäche? Nein, meint die Literaturwissenschaftlerin Isabelle Pantin. Mittelerde folgt einer eigenen Logik und verbindet uns mit unseren archaischen Wurzeln.

Wer ist Tom Bombadil?
Fast jedes Wesen lässt sich eindeutig in das komplexe kosmologische System von Mittelerde einordnen. Doch ein Charakter sticht heraus – und erhält so den Mythos am Leben.

Leo Carruthers: „In den Wendungen von Geschichten liegt ein Echo göttlicher Vorsehung“
Tolkien war tief im katholischen Glauben verwurzelt, dennoch ist sein Werk keine Apologetik, meint der Mediävist Leo Carruthers. Vielmehr scheint seine götterlose Mythologie vom Licht einer „unsichtbaren Lampe“ durchstrahlt.

Kritik der Moderne
Abschied von Mittelerde
Max Weber beschrieb die Moderne als Zeit der „Entzauberung“. Dabei handelt es sich jedoch weniger um eine präzise theoretische Diagnose als um ein schwer fassbares Verlustgefühl. Der Herr der Ringe erzählt – ähnlich wie die Sagen um Avalon – die Geschichte dieser Melancholie.

Enrico Spadaro: „Dem technophilen Enthusiasmus setzt Tolkien einen ‚Verzicht‘ entgegen“
Tolkiens Erzählungen sind durchzogen von Nostalgie und Naturliebe. Lässt sich dahinter eine politische Haltung ausmachen? Wie sah Tolkien die Gesellschaft seiner Zeit? Ein Gespräch mit Enrico Spadaro über Maschinen, Natur und Anarchismus.

Das Rätsel des Bösen
Michaël Devaux: „Gutes zu wollen, ist die gefährlichste List des Bösen“
Tolkiens Erzählungen handeln vom Kampf gegen dunkle Kräfte und Tyrannen. Doch lässt sich das Böse je besiegen? Welche Macht hat es über uns? Mit Michaël Devaux sprachen wir über das Verhältnis zwischen Gut und Böse und eine nie endende Versuchung.

The Bling Ring
Verführerisch glänzend, aber ansonsten unscheinbar und klein: Warum steht gerade der Ring im Zentrum von Tolkiens Epos?

Peter Paul Schnierer: „In der Wesenlosigkeit zeigt sich das absolut Böse“
Was ist das Böse, das uns in Mittelerde begegnet? Im Gespräch entwirft Peter Paul Schnierer eine kleine Typologie der dunklen Kräfte und erläutert ihre literarischen Wurzeln.

Verteidigung der Orks
Wer Der Herr der Ringe liest oder schaut, den beschleicht das Gefühl, dass man ihn dazu drängen will, mit den Falschen mitzufiebern. Sind es nicht gerade Orks, Uruk-hai und andere widerliche Gestalten, die unsere Solidarität verdienen?

Quellen des Guten
Mit Tolkien auf die Barrikaden
Vielen gilt Tolkien als Verfechter einer vormodernen, traditionellen Gesellschaft. Doch sein Werk lässt sich auch anders lesen: als Inspiration für aktuelle Widerstands- und Emanzipationsbewegungen.

Irène Fernandez: „Prüfungen erlauben uns, ein höheres Sein zu erlangen“
Tolkiens Werk zeichnet eine Theorie der Verantwortung und des Muts. Jede Figur, erklärt die Philosophin Irène Fernandez, steht vor aufopferungsvollen Entscheidungen, die Verzicht fordern und Schmerz verursachen.

Vom Bösen gezeichnet, zum Guten bestimmt
Tolkien stellt seine Geschöpfe auf harte Proben und viele von ihnen machen dabei eine gute Figur. Keiner allerdings widersteht dem Bösen so beständig wie Gollum, der tragische Held der Geschichte.
