Ein schlechter Witz?
Der Künstler Salvatore Garau verkaufte jüngst eine „immaterielle Skulptur“, die buchstäblich aus nichts besteht. Klingt nach einer absurden Kapriole des Kunstmarkts, ist tatsächlich aber durchaus klug.
Im ersten Moment klingt es wie ein schlechter Scherz: Für 8000 Euro verkaufte der italienische Künstler Salvatore Garau jüngst bei einer Auktion eine „immaterielle Skulptur“, die buchstäblich aus nichts besteht. Sprich: Es handelt sich um ein Werk, dass laut Garau die „Vorstellungskraft aktivieren“ solle, indem schlicht und einfach nichts da ist. Wobei der entsprechende Käufer dennoch nicht mit völlig leeren Händen nach Hause gehen musste. Er erhielt immerhin ein Zertifikat, auf dem die, nun ja, Echtheit der Io sono (Ich bin) betitelten Skulptur bestätigt wird und die gleichzeitig auch Instruktionen für ihre „Aufstellung“ enthält. Demnach müsse das Werk in einem Privathaus auf einer fünf mal fünf Fuß großen Fläche präsentiert werden.
Garau, der mit Io sono nicht das erste Mal ein Werk dieser Art geschaffen hat, sondern mit Aphrodite crying und Buddha in Contemplation bereits zwei Skulpturen in New York und Mailand ausstellte, die ebenfalls nur aus einer am Boden abgeklebten Fläche bestanden, sagte gegenüber der spanischen Zeitung Diaro AS, dass es sich bei diesen Skulpturen jeweils um einen „Raum voller Energie“ handele, in dem sich „Gedanken verdichten“. Denn schließlich, so Garau weiter, stellten wir uns ja auch einen Gott vor, den wir nie gesehen haben.
Nun dürfte das bei manch einem zunächst ratloses Kopfschütteln auslösen, weshalb Garaus „immaterielle Skulptur“ in den sozialen Medien auch meist ironische oder von Unverständnis geprägte Kommentare provozierte. Und es stimmt ja auch: Auf den ersten Blick wirkt Garaus Herangehensweise wie der Ausdruck eines intellektuell verwahrlosten Kunstmarktes, auf dem man buchstäblich alles – selbst nichts – für horrende Summen verkaufen kann, weil Menschen mit transparenten Hornbrillen und zu viel Geld sonst womöglich nicht wissen, wie sie sonst den Tag herumkriegen sollen. Doch abgesehen davon, dass solch einem Urteil freilich auch eine Portion Redneck-Ressentiment gegenüber des vermeintlich degenerierten Kunstbetriebs innewohnte, ließen sich die „immateriellen Skulpturen“ auch als ziemlich kluge Reflexion auf die Kunstgeschichte lesen.
Denn – sehr grob gesprochen – lässt sich in letzterer eine zunehmende Bedeutungsverschiebung von der künstlerischen Handwerklichkeit hin zur Konzepthaftigkeit beobachten. Oder genauer gesagt: Das, was den Kern künstlerischer Arbeit ausmacht, ist im Verlauf der (post-)modernen Kunstgeschichte immer weniger die meisterhafte und präzise Darstellung von Personen, Landschaften oder mythischen Szenen, nicht das wochen- oder monatelange Bearbeiten von Marmor, um eine Skulptur zu entwerfen, sondern vielmehr rückt die künstlerische Idee selbst in den Mittelpunkt. Das heißt freilich weder, dass nicht auch bei den Alten Meistern eine künstlerische Idee von Bedeutung gewesen wäre, schließlich speist sich die Großartigkeit der Gemälde Caravaggios oder Jan Vermeers auch daraus, dass die Szenen der Heilsgeschichte oder des Alltags spezifisch interpretieren, noch bedeutet es, dass konzeptbezogene Kunst keine materielle Dimension hätte, denkt man etwa an Joseph Beuys, so steht die Materie, in diesem Fall oft Fett und Filz, ja geradezu im Zentrum dessen Werks.
Doch ganz gleich ob bei Joseph Beuys, Marcel Duchamp, Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Damien Hirst, Marina Abramović oder Tino Sehgal: ein Signum (post-)moderner und zeitgenössischer Kunst besteht tendenziell darin, dass die reine Handwerklichkeit in den Hintergrund tritt, im Falle der Pop-Art geht das ja sogar so weit, dass gerade die technische Reproduzierbarkeit selbst zum buchstäblichen Markenzeichen avanciert. Ins Zentrum rückt stattdessen vielmehr die Vermittlung einer Idee, die Konstruktion einer spezifischen Situation oder die Erzeugung bestimmter Emotionen. Man mag exemplarisch an Marcel Duchamps berühmtes Pissoir denken, das erst durch seinen Kontext, nämlich die Ausstellung im Museum, die Frage aufwirft, was Kunst eigentlich ist und inwiefern sie einen immanenten oder performativen Charakter besitzt.
Besieht man nun die „immateriellen Skulpturen“ Garaus – oder besser: stellt sie sich vor –, so offenbart sich in ihnen einerseits die äußerste Radikalisierung dieser Logik. Das Kunstwerk wird zur bloßen Idee, zum Anstoß eines Denkprozesses und phantasmatischen Akts. Und dabei verschiebt sich dementsprechend auch das Verhältnis von Künstler und Rezipient noch weiter. Das Kunstwerk ist nicht „nur“ die individuelle Perspektive und Interpretation des Zuschauers angewiesen, sondern derjenige, der sich Garaus immaterielle Skulptur „betrachtet“, „schafft“ sie in diesem Moment auch erst. Insofern treibt Garaus andererseits auch die Rolle des Rezipienten auf die radikale Spitze – und zwar, so darf man zumindest unterstellen, mit einer entsprechenden Portion Selbstreflexion. Immerhin gewinnt der Titel der Skulptur, „Ich bin“, so eine doppelte Bedeutung. Die Skulptur entsteht erst dadurch, dass man sie sich vorstellt, gleichzeitig vergewissert sich derjenige, der sie sich vorstellt in ganz cartesianischer Manier aber auch erst, dass er ist, weil er denkt.
Und diese tendenzielle Verschiebung von der handwerklichen Meisterhaftigkeit hin zum innovativen Konzept findet sich ja nicht nur in der Kunst, sondern etwa auch im ökonomischen Kontext. So beschrieb Naomi Klein bereits in ihrem im Jahr 2000 erschienenen Buch No Logo, wie sich die Wertschöpfung bei internationalen Großkonzernen zunehmend auf das Erzeugen von Ideen, Designs oder Formeln verschoben hat, während die materielle Produktion nur noch als sekundär gilt und dementsprechend in Niedriglohnländer outgesourct wird. Während man im amerikanischen Nike-Headquarter Modelle für neue Turnschuhe entwirft, werden sie in China oder Bangladesch zusammengenäht.
Vermag Garaus „immaterielle Skulptur“ also auch als kluge Reflexion über das Verhältnis von Idee und Materie gelesen werden, wäre sie dann doch weit mehr als ein schlechter Witz. Wobei freilich auch hier gilt, dass es gerade bei Ideen besonders wichtig ist, wer sie zuerst hat. Würden nun unzählige andere Künstlerinnen und Künstler auf die Idee kommen, ebenfalls unsichtbare Skulpturen zu verkaufen, würde der Preis vermutlich sehr schnell fallen und dem Publikum nur noch ein Gähnen entlocken. •
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