Wie von einem Blitzstrahl erhellt
Kommt, wo die Waffen dröhnen, das Denken an sein Ende? Oder weist es den Weg aus der Gewalt? Gut ein Jahr nach Putins Überfall auf die Ukraine werfen neue Bücher ein Licht auf Russland, die Ukraine – und auf Deutschland.
„Kriegszeiten“, schreibt die Philosophin Bettina Stangneth, sind stets auch „Wahrheitszeiten“: Was wäre dann heute von der Philosophie zu erwarten? Die hier besprochenen Bücher wollen keine Philosophie des Krieges entwickeln. Aber sie reflektieren auf je eigene Weise, was durch Russlands Krieg in der Ukraine philosophisch auf dem Spiel steht. Zwei Bücher haben die Ukraine zum Thema: Das eine behandelt ihre jüngste Geschichte seit 2014, das andere die geistige Situation, die unter den Bedingungen des gegenwärtigen Krieges entstanden ist. Zwei weitere betrachten die Auswirkungen des Krieges auf Russland und Deutschland. Olaf Kühl, Slavist, Übersetzer und langjähriger Russlandexperte im Berliner Senat, betrachtet Russland „von seinem Ende her“. Es ist das Ende einer Epoche, in der Russlandkenner wie Kühl vernünftige Gespräche mit russischen Offiziellen führen konnten. Die Zerstörung der Vernunft – durch Lügen, eine neue Esoterik und Geschichtsphilosophie à la Putin – stützt den neoimperialen Anspruch. Auch der ukrainisch-amerikanische Historiker Serhii Plokhy sieht in seinem Buch Der Angriff Russland geistig und kulturell im Absturz begriffen. Selbst ernannte Metaphysiker sekundieren Putin bei seiner fixen Idee vom Abwehrkampf gegen westlichen Feminismus, gegen Genderforschung und andere vermeintliche Übel.
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo
Weitere Artikel
Die neue Ausgabe: Das Ende der Illusion
Der Überfall auf die Ukraine reaktiviert Denkmuster des Kalten Krieges. Die Gefahr, zurück in die Vergangenheit zu stürzen, ist groß. Wie ist zu verhindern, dass der Schock sich in blindem Aktionismus entlädt? Aufgabe der Philosophie ist es, an die Stelle riskanter Reflexe die Kraft der Reflexion zu setzen.
Werfen Sie einen Blick auf unsere umfangreiche Heftvorschau!

Adam Michnik: „Nach Putins stinkender Nacht wird es ein freies Russland, eine freie Ukraine geben“
Der polnische Dissident und Chefredakteur der Zeitung Gazeta Wyborcza Adam Michnik kannte Alexej Nawalny gut. In diesem bisher unveröffentlichten Tagebucheintrag hält er seine Trauer über den Tod Nawalnys und seine Hoffnung für Russland fest.

In Putins Kopf
Wladimir Putin zitiert gerne russische Denker des 19. und 20. Jahrhunderts, um seine imperialistische Außenpolitik zu legitimieren. Theresa Schouwink und Michel Eltchaninoff, Redakteure des Philosophie Magazins, werfen einen Blick auf die philosophischen Einflüsse seines Programms.

Putins Angst vor dem Liberalismus
Die NATO-Osterweiterung gilt Putin als größter Graus, wird vom Westen jedoch als eine bloß fadenscheinige Rechtfertigung für seinen Angriffskrieg abgetan. Die Missachtung von Putins Sorge könnte fahrlässig sein, denn sie gibt einen Hinweis, aus welcher Richtung ihm die größte Gefahr für seine Macht droht, meint Annika Fränken.

Putins Rache?
Hinter Putins Angriffskrieg, so ist immer wieder zu lesen, stehe ein archaisches Motiv: Rache. Doch diese Begründung verrät in Wirklichkeit mehr über uns als über Putin. Ein Impuls von Fabian Bernhardt.

Logik der Abschreckung
Lange hatte die Bundesregierung gezögert, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen. In seiner Regierungserklärung vollzog Kanzler Scholz dann eine sicherheitspolitische Wende. Diese war überfällig.

Waffenlieferungen an die Ukraine?
Im Ukraine-Konflikt schließt die deutsche Bundesregierung Waffenlieferungen aus. Ein verantwortungsethischer Pazifismus aber müsste die Abschreckung als Möglichkeit einbeziehen, meint unsere Kolumnistin Nora Bossong.

Alexander Kluge: „Wenn der Krieg einmal anfängt, führt er eine eigene Existenz“
Auf den Einsatz nordkoreanischer Soldaten durch Russland antwortet Joe Biden jetzt mit der Erlaubnis an die Ukraine, US-Waffen längerer Reichweite gegen Ziele in Russland einzusetzen. Angesichts dieser fortschreitenden Eskalation veröffentlichen wir erneut ein Interview mit Alexander Kluge, in dem er die Eigendynamik des Krieges als Dämon beschreibt.

Kommentare
Oft wird über russische Vereinnahmung der russisch -ukrainischen Geschichte berichtet. Sicherlich ein weites Feld. Von den Narrativen ukrainischer Geschichte hört man kaum etwas. Gerade hat Andreas Kappeler in der ZEIT für etwas Nachhilfe gesorgt. Folgt man den Spuren "ukrainischer" Geschichte drängt sich der Eindruck auf, dass der Krieg um die UA überhaupt erst so etwas wie einen Nation Building - Prozess angestoßen hat.
Was allerdings nach diesem Krieg dabei herauskommt, hängt maßgeblich von Kiew ab. Wenn Kiew autoritär auftritt, droht - auch nach dem Krieg - ein lang andauernder Bürgerkrieg. Once more.
Putin analysieren ist meiner Ansicht nach Kaffeesatzlesen. Klarer wird die Sicht mit der geopolitischen Brille. Danach versucht der Noch-Hegemon mit seiner geballten militärischen und geheimdienstlichen Macht, Russland einzuhegen. Oder wie unsere Aussenministerin verkündet: das wird Russland ruinieren. Russland ruinieren finde ich keine gute Idee. Für Deutschland und die Länder der EU waren ein erstarkendes Russland und die günstige Energie ein Segen. Wie die Dinge laufen, wird Russland nicht aufzuhalten sein und ist an der Seite Chinas, im Verbund der BRICS und Shanghai Organisation für Zusammenarbeit gut aufgestellt. Dagegen läuft die USA dominierte Epoche aus. Um eine Zukunft zu haben, müsste sich Deutschland allmählich aus der hegemonialen Umklammerung lösen und sich in der entstehenden multipolaren Welt positonieren. Es könnte sich von Doppelmoral und Doppelstandards lösen und die
USA als das benennen, was ihr Noam Chomsky nachsagt: ein Schurkenstaat zu sein. Was die vorgestellte Literatur angeht, so sollte doch Egon Bahr ein Massstab sein: "In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt."