Yves Bossart: „Lachen ist Aufklärung“
Humor ist eine Weltanschauung, schreibt Yves Bossart in seinem neuen Buch. Wir haben mit ihm über Komik im Krieg, das Ende der Angst und ein Leben in der Schwebe gesprochen.
Herr Bossart, welche Rolle spielt der Humor in Zeiten, in denen es wenig zu lachen gibt?
Für mich ist der Humor und das Lachen immer eine wichtige Strategie gewesen, auch mit schwierigen Situationen, mit Ärger, mit Peinlichkeiten, mit Ängsten umzugehen. Der Humor verschafft uns eine Distanz zu uns selbst und zu der Welt und ermöglicht uns so eine andere Perspektive auf die tragischen Seiten des Lebens. Das heißt natürlich nicht, dass man die Dinge nicht mehr ernst nehmen sollte. Aber in unsicheren und schweren Zeiten kann der Humor eine wichtige Ablenkung sein. Eine Insel, auf der man Kraft schöpfen kann, um am nächsten Tag wieder auf die Straße zu gehen und sich für etwas einzusetzen.
In Ihrem Buch zitieren Sie Friedrich Nietzsche: „Das unglücklichste und melancholischste Tier ist, wie billig, das heiterste.“ Gibt es einen Zusammenhang zwischen Unglück und Humor?
Zwischen Leid und Lachen? Schmerzen und Scherzen? Ich glaube schon. An anderer Stelle schreibt Nietzsche, das Lachen sei ein „Übergang aus momentaner Angst in kurz dauernden Übermut“. Das kann man sehr gut in einer der einfachsten komischen Situationen überhaupt beobachten: Wenn wir mit einem Kleinkind Verstecken spielen und abwechselnd hinter einer Decke verschwinden und wieder auftauchen. Dabei lösen sich die Momente der Verwirrung und Orientierungslosigkeit auf in ein Gefühl der Erleichterung und Geborgenheit. Auch der berühmte schwarze Humor verwandelt Dinge, die eigentlich sehr ernst sind, wie Krankheit und Tod, in etwas, über das man lachen kann. Das ist das philosophisch Interessante und Wertvolle am Humor: Er gibt uns die Souveränität, die Dinge anders zu sehen. Die Realität diktiert uns dann keine bestimmte Perspektive, sondern wir haben die Freiheit, uns zu ihr zu verhalten.
Wolodymyr Selenskyj, der Präsident der Ukraine ist ein ehemaliger Komiker. Und auch trotz des russischen Angriffskriegs haben die Menschen ihren Humor offenbar nicht verloren. Man hört von Comedy Clubs, in denen der Andrang größer denn je ist. Auch der Meme-Krieg mit Humor ist in vollem Gange. Welche Rolle kann Humor als Widerstandsmittel spielen?
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo
Weitere Artikel
Robert Pfaller: „Humor ist seiner Natur nach grundsätzlich solidarisch"
Was lässt uns lachen? Wie hängen Komödie und Horror zusammen? Und was hat der Witz mit Respekt zu tun? Im Interview zu seinem neuen Buch geht Robert Pfaller unserem Humor psychoanalytisch auf den Grund.

„Nope“: Überleben in der Gesellschaft des Spektakels
Mit „Nope“ bringt der amerikanischen Komiker und Regisseur Jordan Peele einen der spannendsten und visuell anziehendsten Filme dieses Sommers in die Kinos. Hinter dem so humorvollen wie beklemmenden Szenario verbirgt sich eine Kritik an der Gesellschaft des Spektakels.

Cornel West: „Amerika ist unterwegs in den Nihilismus“
„Ich kandidiere für Wahrheit und Gerechtigkeit.“ Mit diesen Worten kündigte Cornel West am 5. Juni seine Präsidentschaftskandidatur an. 2016 haben wir mit dem Philosophen über alltäglichen Rassismus, heilende Komik und eine Enttäuschung namens Barack Obama gesprochen.

Warum lachen wir?
In schlechten Zeiten kann Galgenhumor helfen. Auf die Frage, weshalb Menschen überhaupt lachen, gaben Denker unterschiedliche Antworten. Wir stellen Ihnen drei vor.

Bauern in der Schwebe
Die Bauernproteste sollen von Rechten unterwandert sein. An Karl Marx’ Überlegungen zur Bauernfrage zeigt sich, dass es schon immer ihre einzigartige Position war, die sie zu einem streitbaren Subjekt machte.

Das Ende der Stellvertretung und die direkte Zukunft der Demokratie
Die repräsentative Demokratie lässt das Projekt der Aufklärung unvollendet. Statt selbst über unsere undelegierbaren Angelegenheiten zu entscheiden, setzen andere für uns Zwecke. Ein Plädoyer für den Ausbruch aus der institutionalisierten Unmündigkeit und mehr direkte Demokratie von Andreas Urs Sommer.

Peter R. Neumann: „Der aufgezwungene Export von Freiheitsgedanken hat noch nie funktioniert“
Der Politikwissenschaftler Peter R. Neumann hat ein Buch über die „neue Weltunordnung“ geschrieben. Wir haben mit ihm über den Abstieg des Westens, die Stärke Chinas und die Konturen einer neuen Außenpolitik gesprochen.

Ludger Schwarte: „Farbe ist immer anarchisch“
Lange Zeit wurde die Farbe in der Philosophiegeschichte ausgeklammert. Ein Unding, wie Ludger Schwarte in seinem neuen Buch Denken in Farbe erläutert. Schließlich eignen wir uns die Welt nicht nur durch Farben an, sondern sie besitzen auch ein subversives Potenzial.

Kommentare
Die Freud'sche Humortheorie auf den Bereich der Tabubrüche zu reduzieren greift viel zu kurz.
Gerade die schwerwiegenden Gefühle wie Wut und - allen voran - die Trauer gilt es zu ersparen. Denn je größer die Trauer, desto größer das unbewusste Bedürfnis es mit Humor wegzudrängen.
Das ist im Kern das unbewusste Prinzip des jüdischen Humors, einem Volk, dass seit über 2000 Jahren Verfolgung leidet. Oder man denke - in stark abgeschwächter Form zum jüdischen Humor - an den melancholischen Clown, der es nie schafft, wirkliche Trauerarbeit zu leisten.