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Essay

Weder Heilserwartung noch Apokalypse: Warum wir eine andere Zukunft nötig haben

Christoph David Piorkowski veröffentlicht am 13 Mai 2025 8 min

Die Krise ist längst das neue Normal, die gegenwärtigen Zukunftsszenarien sehen düster aus. Wie „die Zukunft“ als gemeinsamer Sehnsuchtsort entstand, warum sie mal erhofft und mal gefürchtet worden ist, und weshalb Krisen sowohl zu einem kollektiven Aufbruch als auch zu Resignation führen können. Eine Analyse.

Morgen der Kollaps der Demokratie, übermorgen KI-Diktatur oder die Verwüstung des halben Planeten im Zuge der anrollenden Klimakatastrophe – die Zukunftserzählungen der jüngeren Gegenwart haben oft einen radikal endzeitlichen Sound. Wie der Philosoph Slavoj Žižek einmal polemisch bemerkte, schwankt die kollektive Vorstellung der Zukunft heute zwischen „Dark Ages“ und „Tech-Dystopie“, nimmt sich wahlweise wie Mad Max oder Terminator aus, wie Wüstenanarchie oder Herrschaft der Maschinen. Vor allem Aktivisten und Kulturindustrie, doch auch Medien, Sozial- und Naturwissenschaften zeichnen derzeit düstere Szenarien der Zukunft – einer nahen von der „Demokratiedämmerung“, und einer ferneren vom Ende der Zivilisation. Optimistische oder gar utopische Entwürfe stellen heute eher die Ausnahme dar – so zum Beispiel im Silicon Valley, wo die transhumanistische „Erlösung“ des Menschen von seinem biologischen Verhängnis erträumt wird. 

Politik klingt heute häufig mehr nach Abwehr als nach Aufbruch, man kämpft vielleicht dafür, dass es nicht schlimmer werden möge, dass es besser wird, traut sich heute kaum wer zu hoffen – einmal abgesehen vielleicht von den Rechtspopulisten, die vorwärts in die „glorreiche Vergangenheit“ wollen. Nicht zuletzt in Deutschland ist die Stimmung eher schlecht. So legen mehrere aktuelle Studien eine wachsende Veränderungsverdrossenheit nahe, Angst und Überforderung angesichts der sich überlappenden Großkrisen – von Pandemie über Krieg und Rechtsruck bis zum Klima – sind auch unter jüngeren Menschen nicht selten, auch der Klima-Aktivismus scheint rückläufig zu sein. Was macht es mit Gesellschaften und mit Politik, wenn vorerst kein Ende der „Krise“ in Sicht ist und Zukunftsszenarien sich trübe gestalten? Lähmt die andauernde Krisenerzählung oder motiviert sie uns umgekehrt zum Handeln? Und kann ein Blick auf frühere Zukunftserwartungen uns helfen, unsere Gegenwart besser zu verstehen?

 

Entdeckung der Zukunft

 

Folgt man Ideenhistorikern wie Reinhard Koselleck oder Lucian Hölscher ist „Zukunft“ im Sinne eines einheitlichen Zeitraums geschichtlich betrachtet ein junges Phänomen. Dass Menschen sich das Zukünftige als einen stetigen Veränderungs- und Fortschrittsprozess vorstellen, sei eng an den Begriff der Geschichte gekoppelt, der ebenfalls erst in der Neuzeit entstehe. Die Idee einer prozesshaften Entwicklung der Menschheit und die Gliederung der Weltzeit in getrennte Epochen entwickelt sich demnach erst im 18. Jahrhundert. In seiner großen Studie Die Entdeckung der Zukunft erklärt Hölscher im Anschluss an Thesen von Koselleck, dass die Menschen des europäischen Mittelalters zwar von einer durch die Kirche vermittelten Endzeiterwartung geprägt waren. Außerdem habe man mit der Aussicht auf zyklisch wiederkehrende Tages- oder Jahreszeiten gelebt. Innerweltliche Wandlungsperspektiven, Entwürfe einer radikalen Umgestaltung aber seien erst in jener Zeit nachweislich gegeben, die man gemeinhin als Moderne bezeichnet. 

Nun hat es allerdings schon immer und nahezu überall bestimmte Kulturtechniken der Vorhersage gegeben, wie etwa die Forschung des französischen Historikers George Minois nahelegt. Fast jede Kultur kennt gleichsam therapeutisch ausgerichtete Formen der Zukunftsbeherrschung, die die Angst vor dem Ungewissen abzupuffern helfen. In der Antike dominierten die Orakel, im Mittealter die Prophezeiungen, in der frühen Neuzeit die Astrologie, gefolgt von politischen Utopien und wissenschaftlichen Vorhersagen in der Moderne. Auch müsse man der knalligen These von der „Entdeckung der Zukunft“ insofern widersprechen, als es im Mittelalter durchaus Hoffnungen auf Veränderung etwa im Sinne der Überwindung eines bestimmten Herrschaftsregimes gegeben habe, erklärt der Mediävist Klaus Oschema. Doch zutreffend sei, dass das vorgestellte Andere selten etwas radikal Neues enthielt: „Man prophezeit zwar, dass ein Reich zusammenbrechen wird, aber die Zukunft wird meist in den bekannten Ordnungsformen gedacht, allenfalls wird noch die Vergangenheit beschworen“. Zumindest aber für die frühe Neuzeit, im 16. und jungen 17. Jahrhundert, sind dann Sozialutopien überliefert. So das begriffsbildende Werk Utopia des englischen Renaissance-Humanisten Thomas Morus oder die bereits mit protosozialistischen Ideen gespickte Vision vom "Sonnenstaat“ des italienischen Philosophen Tommaso Campanella.

Auch die Zukunftshistorikerin Elke Seefried meint, dass es nicht zuletzt die Erosion der göttlich geordneten Ständegesellschaft war, die die gedankliche Aussicht auf individuelle und kollektive Entfaltung bedingte. Die mit der Aufklärung verbundene Idee, dass ich ein anderer sein kann, als der, der ich bin, nicht an jenem Punkt stehen bleiben muss, auf den mich die Geburtslotterie einst gesetzt hat, erschafft eine vom religiösen Rahmen befreite, bis dato ungeahnte Zukunftseuphorie. Diese wird für den Liberalismus und bald auch für den Sozialismus maßgeblich sein – wobei sich in den säkularen Ideologien doch metaphysische Reste erhalten. So propagiert die Hegelianische Geschichtsphilosophie, wie auch deren Umdeutung durch Engels und Marx, eine zielgerichtete Entwicklung der Menschheit hin auf ein finales historisches Stadium und trägt so noch immer eine Heilserwartung in sich.
Der Wandel im sozialen Gefüge und im Denken wird von der technologischen Entwicklung überlagert, die Möglichkeitsräume gleichsam plastisch werden lässt. Vor allem die Verbreitung der modernen Massenmedien, durch die in den jungen Nationalstaaten Europas überhaupt erst Öffentlichkeiten entstehen, setzt die Debatte über Zukunft in Gang.

 

Euphorie und Verdruss

 

Folgt man Lucian Hölscher, lassen sich im neuzeitlichen Zukunftsdiskurs indes Phasen des Auf- und Abschwungs erkennen. Durch die Denker der Aufklärung habe es in den 1770er- und 1780er-Jahren ein erstes begeistertes Zukunftshoch gegeben. Diesem aber folgte mit der Strömung der Romantik, die eine „natürliche“ Vergangenheit beschwor, eine Art dialektischer Gegenimpuls. Der Fortschritt bringt schon damals den Rückschritt zur Welt, das Veränderungspathos formt auch den Wunsch nach Stabilität im Denken und Handeln, die Retrofiktion einer angestammten Ordnung, und eine Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“.

Die 1830er- und 40er-Jahre markierten mit den Revolutionsbewegungen dann eine weitere Phase des Aufbruchs, der später wieder Zukunftsverdrossenheit folgte. Die nächste Welle der Zukunftsbegeisterung setzt schließlich um die Jahrhundertwende ein. Im Zuge der zweiten industriellen Revolution haben in Europa und den USA wissenschaftlich-technische Visionen Konjunktur, das literarische Genre Science-Fiction kommt auf. Zudem verzeichnen lebensreformerische Kreise um 1900 einen ungeheuren Zulauf. Zwar gibt es auch hier schon dystopische Szenarien einer technologisierten Kriegsmaschinerie, doch insgesamt stehen die Zeichen auf Aufbruch. Die Welle wird sich an den Schützengräben und Giftgasgemetzeln des Weltkrieges brechen, der das grauenhafte Potenzial der Technik offenbart. 

Walter Benjamins Denkfigur vom „Engel der Geschichte“ bringt die neue Fortschrittsskepsis auf den Punkt. Der Engel hat der Zukunft den Rücken gekehrt, wird vom Sturm der Geschichte nach vorne geblasen, blickt zurück und gewahrt die „Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer“ errichtet. Ein weiteres Hoch der Zukunftsbegeisterung habe, so erklärt es Lucian Hölscher, in den 1960er-Jahren eingesetzt, sei aber durch die Erfahrungen der Weltkriege verglichen mit vorher verhalten ausgefallen. Und schon in den 1970er-Jahren zirkulierten nach Elke Seefried wieder vielfach Krisenszenarien. So haben etwa die Ölpreiskrise von 1973 und die darauf folgende „Stagflation“ – in der es zu Teuerungen, wirtschaftlichem Abschwung und vermehrter Arbeitslosigkeit kam – eine große Verunsicherung provoziert.

 

Krise als Chance?

 

Und doch, so stellt die Zeithistorikerin fest, führten Krisen und deren Reflexion durch die Gesellschaft mitnichten zu einem „Ende der Zukunft“, sondern gerade zu einer Debatte über diese. So habe etwa die berühmte, im Auftrag des Club of Rome durchgeführte Studie Die Grenzen des Wachstums von 1972, die das Szenario des Kollapses der Erde entwarf, der Umweltbewegung Vorschub geleistet: „Krisennarrative setzen Zukunftshandeln frei, bringen immer auch Gegenkräfte hervor, die sich anstrengen, das Schlimme, was da kommt, zu verhindern.“ 

Auch der Wiener Psychologe und Zukunftsforscher Reinhold Popp ist der Ansicht, dass ohne Krisen und mithin Kritik, Veränderung und Zukunft kaum vorstellbar seien: „Zudem neigt der radikal utopisch-euphorische, monoperspektivische Blick auf die Zukunft dazu, sich in Ideologie zu verhärten.“ Wenn die Zukunftsbegeisterung überhandnimmt – so zeigt die Geschichte des Kommunismus auf – neigen Menschen dazu, die heutige Moral für das vermeintlich moralischere Morgen zu opfern. Dann heiligt der Zweck letzten Endes die Mittel. 

Auch müsse man festhalten, dass zu optimistische Zukunftsversprechen Enttäuschung provozieren, wenn sie unerfüllt bleiben, meint Seefried. So schürte die Erzählung von den "blühenden Landschaften" nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im vereinigten Deutschland hohe Erwartungen. Vor allem im Osten gab es vielfältige Hoffnungen auf basisdemokratische Partizipation und einen sich zügig mehrenden Wohlstand. Die harte ökonomische Transformation und die wirtschaftliche Globalisierungsdynamik ab den 1990er Jahren erzeugten indes teilweise reale, doch vor allem symbolische Verlusterfahrungen. Das verhältnismäßig geringere Vertrauen ostdeutscher Menschen in die Demokratie hänge wohl auch mit der Enttäuschung zusammen, dass vieles anders kam als erwünscht, erklärt Seefried. Eine zu optimistische Zukunftserzählung birgt also ihrerseits politische Gefahren.

 

Positive Bilder

 

Doch auch wenn „die Krise“ zumeist als Initial des politisch-gesellschaftlichen Handelns fungiert, ist Reinhold Popp als Psychologe überzeugt, dass ein dauerhafter Krisendiskurs ein negatives Grundgefühl heraufbeschwören kann, das eher handlungsblockierend als -anleitend wirkt: „Psychologisch betrachtet kommt es auf die Möglichkeit an, sich im Zukunftshandeln als selbstwirksam zu erfahren. Erwartete Vergeblichkeit führt eher zu Resignation.“ Die mentale Zeitreise braucht positive Ziele. Die Krise, die niemals bewältigt werden kann, bringt eher Depressionen als Aufbrüche hervor. Die letzte Sinus-Studie weist in eine ähnliche Richtung, und zeichnet das Bild einer verdrossenen Jugend, die sich ob der zahlreichen Probleme dieser Welt eher machtlos fühlt und ins Private verschwindet, anstatt sich umfassend zu politisieren.

Die Krisenerzählung, so könnte man meinen, kann nur am Anfang des „Zukunftshandelns“ stehen. Wenn sich dieses verstetigen soll, zumal in breiten Bevölkerungsteilen, braucht die Narration einen positiven Fluchtpunkt. Das gilt auch mit Blick auf die Klimabewegung: So erklären der vor knapp zwei Jahren verstorbene Soziologe Bruno Latour und sein Schüler Nikolaj Schulz in ihrem Werk Zur Entstehung einer ökologischen Klasse, dass diese jenseits ihrer Vielfältigkeit nicht nur eine kollektive Identität, sondern auch eine gemeinsame Erzählung benötigt. Dem Status Quo eines ungebremsten Wachstums bei gleichzeitig begrenzten natürlichen Ressourcen wäre nicht zuletzt die realistische Vision einer nachhaltigen Lebensform entgegenzuhalten. Nicht damit alles genauso geschieht, wie es am Reisbrett zurechtgebastelt wurde, sondern als regulative Idee, mit der man politische Leidenschaften weckt.  Auch jene, die die Demokratie bewahren wollen, sollten für ihre Verbesserung werben, anstatt bloß an die Wand zu malen, was wir verlieren, wenn der Autoritarismus sich durchsetzt.

Eine „realistische Utopie“, um Demokratien demokratischer zu machen, hat jüngst der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty vorgelegt: Ein Programm, das Vollbeschäftigung und Grundeinkommen sowie ein temporäres Erbe für alle durch massive progressive Steuern auf Vermögen, Erbschaften und Einkommen finanzieren soll. Die Reanimierung eines mächtigen Sozialstaates sei Grundlage für eine Entmarktung der Wirtschaft in für das Dasein relevanten Bereichen wie Gesundheit, Bildung, Kultur, Verkehr und Energie. In diesen nicht mehr gewinnorientierten Sektoren gäbe es ferner keinen Steigerungszwang. Das könnte das Leben wenigstens teilweise entschleunigen, Ängste und Weltentfremdung abmildern – so zumindest der Sozialphilosoph Hartmut Rosa. Das Erbe für alle ließe sich indessen im gewinnorientierten Bereich investieren, in ein persönliches Projekt oder kleines Unternehmen. Auch Partizipation und Kapitalbeteiligung der Belegschaft in Firmen des privaten Bereichs, etwa über Lohnfonds, nennt Piketty. Das arbeitende Volk würde spürbar ermächtigt. 

Doch was die konkreten Maßnahmen wären, ist womöglich gar nicht die wichtigste Frage. Mit entscheidend könnte schon sein, maßvolle Alternativen zum Status Quo überhaupt offen diskutieren zu können, ohne aus dem etablierten Diskurs von vornherein als irrsinnig aussortiert zu werden. Echte Diskussionen als Alternative zum Mantra der Alternativlosigkeit. Es wäre eine Demokratisierung der Demokratie und würde ihr womöglich neues Leben einhauchen.•

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